Die Dissertation bildet ein Kumulus aus drei publizierten genetisch informativen Arbeiten zum Thema Persönlichkeitsunterschiede und -entwicklung. In allen Arbeiten, welche in der Folge kurz vorgestellt werden sollen, war es mein Anspruch, bestmögliche mess- und testtheoretische Standards zu berücksichtigen und neue Modelle zu entwickeln, welche strukturgleichungsanalytisch umsetzbar sind.
In einer Arbeit (Kandler, Riemann, et al., 2010) ging es mir um die Bestimmung der Erblichkeit und Umweltbeeinflussung einzelner Eigenschaften unterschiedlicher Ebenen des hierarchischen Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit (FFM) unter Berücksichtigung verschiedener Urteilungsperspektiven (d.h. Selbst- und Bekannteneinschätzungen). Es zeigte sich, dass je akkurater ein Persönlichkeitsmerkmal erfasst wird, desto deutlicher es seine genetische Natur offenbart. Neben der Veranlagung machen individuell spezifische Erfahrungen den Kern von Umwelteffekten aus. Allerdings sollte nicht nur auf den Konsensus aus verschiedenen Einschätzungsperspektiven oder Methoden der Messung geschaut werden, denn die spezifischen Komponenten der Selbst- und Bekanntenberichte zeigten ebenfalls eine genetische Beeinflussung. Dies legt nahe, dass die Selbstwahrnehmung oder die Außenperspektive allein unsere Persönlichkeit nicht adäquat reflektieren. Insgesamt kann festgehalten werden, dass akkuratere Messungen die genetische Architektur der hierarchischen Persönlichkeitsstruktur klarer reflektieren, aber ein ausschließlicher Blick auf die konsensuelle Validität liefert ein unvollständiges Bild unserer komplexen Persönlichkeit.
Eine weitere Arbeit (Kandler, Bleidorn et al., 2010), welche die mess- und testtheoretischen Implikationen der zuvor dargestellten Arbeit berücksichtigte, schloss die Lücke zwischen der Persönlichkeitsentwicklungsforschung im Kindes- und im hohen Alter und erlaubte folgende Prinzipien zu formulieren: (1) Die genetische Stabilität der Persönlichkeit nimmt (negativ beschleunigt) über das Kindes- und Jugendalter zu, was als genetischer Reifungsprozess interpretiert werden kann, bis (2) diese spätestens ab dem mittleren Erwachsenenalter nahezu absolute Stabilität erreicht; (3) die Kontinuität von Umweltfaktoren nimmt bis in das hohe Erwachsenenalter zu, (4) erreicht jedoch nie absolute Stabilität und (5) nimmt im späten Erwachsenenalter sogar wieder ab. Die genetische Kontinuität verläuft somit nach dem jungen Erwachsenenalter unabhängig vom Messzeitintervall, während die Umweltkontinuität mit Zunahme des Messzeitintervalls wieder abnehmen kann. Somit bilden Erfahrungen die primäre Quelle der Persönlichkeitsveränderung im Erwachsenenalter. Diese Umwelteffekte kumulieren über die Lebensspanne, was eine Abnahme von Erblichkeitsschätzungen bezüglich Persönlichkeitseigenschaften mit dem Alter der Stichprobe nach sich zieht.
In einer vollständigen verhaltensgenetischen Betrachtung sollten die Mechanismen von Anlage-Umwelt-Korrelation und Anlage-Umwelt-Interaktion nicht unberücksichtigt bleiben. Ich habe dargestellt, wie Trans- und Interaktionen von genetischen und Umwelteffekten die oben beschriebenen Kontinuitätsprinzipien der Persönlichkeit erklären können (Kandler, Bleidorn et al., 2010). Zum Beispiel konnte gezeigt werden, dass Unterstützung und Struktur im Elternhaus wohl keine direkten Effekte auf unsere Persönlichkeit im Erwachsenenalter haben. Der Einfluss unserer Eltern ist wohl nicht losgelöst von der genetischen Veranlagung der kindlichen und elterlichen Persönlichkeit zu betrachten, sondern reflektiert vielmehr Anlage-Umwelt-Korrelationsmechanismen (Kandler et al., 2009).