Im Kontext einer anhaltenden Migration nach Deutschland sind im Rahmen von Vorurteilsstudien schon häufiger die Wahrnehmungen und Bewertungen der Aufnahmegesellschaft in Bezug auf Migranten untersucht worden. Allerdings fehlt es bislang an Studien, die systematisch zwei oder mehr Bevölkerungsgruppen in die Analyse wechselseitiger Vorurteile einbeziehen, um entsprechende Interaktionsmuster zu identifizieren. Die vorliegende Arbeit will diese Forschungslücke schließen helfen, indem sie exemplarisch die Frage bearbeitet, ob und inwieweit sich Vorurteilsausprägungen bei Jugendlichen deutscher und türkischer Herkunft nachweisen lassen. Als zentrale Forschungsrichtungen in den Sozialwissenschaften sind damit die Vorurteils- und die Migrationsforschung angesprochen. Zur Verknüpfung der Theorieansätze kommt eine Überlegung von John W. Berry (1996) zum Tragen, dass es sich bei Vorurteilen um einen moderierenden Faktor handelt, der im Prozess der Eingliederung von Migranten in eine Aufnahmegesellschaft wirksam werden kann.
Das zu erklärende Kriterium ist also durch Vorurteile und Aspekte sozialer Distanz definiert. Dabei beruht die Struktur der Wahrnehmungen und Bewertungen bei den Jugendlichen deutscher Herkunft auf einer in sich verschachtelten zweidimensionalen Aufteilung, während das Kriterium für die Jugendlichen türkischer Herkunft in drei maßgebliche Aspekte gegliedert ist.
Als Prädiktoren kommen Faktoren aufgrund von Sozialisation und Migration sowie sozialpsychologische Faktoren zum Einsatz und ihre Effekte sind für die Gruppen z.T. von erheblich unterschiedlichem Gewicht.
Die Auswertungen deuten insgesamt darauf hin, dass in dieser Feldstudie die Eigengruppenfavorisierung verstärkend auf eine soziale Distanzierung und auf einen Rückgang an emotionaler Zuwendung wirkt. Allerdings sind die Resultate vor allem für die Jugendlichen deutscher Herkunft von Belang, während bei den Jugendlichen türkischer Herkunft insbesondere das juristisch geprägte Systemvertrauen zu einer Verringerung sozialer Distanz und zu einer Zunahme an emotionaler Zuwendung beiträgt. Außerdem kann nachgezeichnet werden, dass bei beiden Gruppen erfahrene Benachteiligungen für die wechselseitigen Bezugnahmen von erheblicher Relevanz sind.