Die einschlägige Forschungsliteratur zeigt, dass chronisch Kranke grundsätzlich von der Teilnahme an gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen profitieren. Im Anschluss an die Rehabilitation zerebrovaskulärer Erkrankungen leisten Selbsthilfegruppen einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Stabilisierung der Reha-Ergebnisse, fördern die soziale Reintegration ihrer Mitglieder und tragen damit in einem hohen Maße zur Sekundär- und Tertiärprävention zerebrovaskulärer Erkrankungen bei. Gleichwohl schließt sich nach wie vor nur ein geringer Teil chronisch resp. zerebrovaskulär Erkrankter einer Selbsthilfegruppe an. Fraglich bleibt, ob die Selbsthilfepotentiale chronisch Kranker bereits erschöpft sind oder ob der Beteiligungsgrad speziell von Schlaganfall-Betroffenen in Selbsthilfegruppen durch gezielte Maßnahmen erhöht werden kann.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde daher erstmals untersucht, welche Faktoren die Entscheidung individueller Akteure beeinflussen, sich nach einem Schlaganfall einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Die Inanspruchnahme einer Selbsthilfegruppe wurde im vorliegenden Zusammenhang als eine auf die soziale Umwelt gerichtete aktive Coping-Strategie betrachtet, weshalb insbesondere der Frage nach der Funktion sozialer Unterstützung nachgegangen wurde. Es wurde außerdem der Einfluss von Faktoren überprüft, die sich hinsichtlich einer Erklärung der Inanspruchnahme von Selbsthilfegruppen krankheitsübergreifend als evident erwiesen haben. Im Gegensatz zu vorangegangenen Arbeiten wurde hier nicht nur die jeweilige Wirkung möglicher direkter Einflussfaktoren auf eine SHG-Inanspruchnahme betrachtet, sondern auch die Rolle potentieller modifizierender Variablen berücksichtigt. Da es nicht ausreicht, SHG-Teilnehmer nach den Motiven ihres SHG-Beitritts zu befragen, wurde eine Kontrollgruppe von Schlaganfall-Patienten, die sich nicht in einer Selbsthilfegruppe engagieren, in die Untersuchung der Inanspruchnahme-Bedingungen einer Schlaganfall-SHG einbezogen.
Als Datenbasis diente eine Querschnittbefragung von 600 SHG-Mitgliedern und 189 SHG-Nichtmitgliedern nach einem Schlaganfall. Mittels eines standardisierten Fragebogens wurden die Schlaganfall-Betroffenen im Zeitraum von November 2005 bis April 2006 auf postalischem Wege befragt.
Die Ergebnisse zeigen, dass für die Inanspruchnahme einer Schlaganfall-Selbsthilfegruppe vor allem psychosoziale Faktoren bedeutsam sind. Die SHG-Teilnehmer verfügen über ein größeres Ausmaß an sozialer Unterstützung, bereitgestellt von ihren primär-sozialen Netzwerkkontakten, zeigen ein ausgeprägteres Hilfesuchverhalten, schätzen ihre Beeinträchtigungen durch den Schlaganfall als schwerwiegender ein, zeigen ein geringeres psychisches Funktionsniveau, nehmen professionelle Hilfeleistungen (Fachärzte) häufiger in Anspruch, sind zufriedener mit der Erreichbarkeit der Selbsthilfegruppe und sind Selbsthilfegruppen gegenüber positiver eingestellt. SHG-Nichtteilnehmer hingegen nehmen therapeutische Leistungen (z.B. Physio-, Sprach- und Ergotherapie) häufiger in Anspruch. In einer multiplen logistischen Regressionsanalyse erwiesen sich insbesondere die individuellen Kosten-Nutzen-Kalkulationen, Merkmale der SHG-Zugänglichkeit sowie das psychische Funktionsniveau als Prädiktoren einer SHG-Teilnahme.
Die Ergebnisse der Arbeit werden hinsichtlich ihrer Konsequenzen für weitere Forschungsarbeiten zur Inanspruchnahme gemeinschaftlicher Selbsthilfe diskutiert. Aus den Befunden werden außerdem praxisrelevante Vorschläge für eine weitere Förderung der Selbsthilfepotentiale von Schlaganfall-Patienten und eine Verbesserung der Zugänglichkeit zu schlaganfallbezogenen Selbsthilfegruppen abgeleitet.