Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Auswirkungen von chronisch psychosozialem Stress auf die Morphologie und belastungsinduzierte Degeneration der Pyramidenneurone und Körnerzellen im Hippocampus zu untersuchen. Die Theorie eines glucocorticoidabhängigen Zelltodes und eines daraus resultierenden massiven Pyramidenneuron-Verlusts sollte mit Hilfe kontrollierter, natürlicher Stressbedingungen überprüft werden. Tupaia belangeri wurde als Tiermodell ausgewählt, um eine Induktion und Dauer chronisch psychosozialen Stresses bei kontrolliertem Einsatz eines rein psychosozialen Stressors unter Laborbedingungen durchführen zu können.
Als Parameter zur Objektivierung der Intensität des Stresszustandes wurde das Körpergewicht, die Cortisol- und bei einem Teil der Tiere die Noradrenalin-Konzentration im Morgenurin gemessen. Pyramidenneurone des Hippocampus wurden auf eine stressabhängig unterschiedliche Färbereaktion mit Nissel-Farbstoff getestet, die Ultrastruktur der Zellkerne beschrieben und deren Anteil an Heterochromatin quantifiziert. Weiterhin wurde überprüft, ob mögliche ultrastrukturelle Veränderungen allein auf eine gesteigerte Cortisol-Einwirkung zurückzuführen sind. Außerdem wurde eine neue stereologische Methode der Zellquantifizierung für Tupaia etabliert und die Anzahl der Neurone des Hippocampus von gestressten und ungestressten Tieren quantifiziert. Mit Hilfe des "in situ-end labeling" konnte in Kooperation mit Dr. P. Lucassen zudem die Rate apoptotischer Zellen im Hippocampus beider Gruppen detektiert werden.
Chronisch psychosozial gestresste Tupaias reduzieren ihr Gewicht und haben eine nicht adaptierende Hyperaktivität der HHN-Achse und des sympathoadrenomedularen Systems. Die verstärkte Färbeintensität von Pyramidenneuronen in der Subregion CA3 gestresster Tupaias ist ultrastrukturell als eine erhöhte relative Anzahl und Gesamtfläche von Heterochromatinaggregaten erkennbar. Bei Cortisol-behandelten Tieren ist diese Veränderung der Färbeintensität oder Heterochromatinaggregation nicht nachweisbar. Im Gegensatz dazu ist die Anzahl der Heterochromatinaggregate in der Subregion CA1 nach einer Cortisol-Behandlung größer, während Stress keinen Effekt erkennen lässt. Da Heterochromatin als hoch kondensiertes und transkriptionsinaktives Chromatin beschrieben ist, inhibieren chronischer Stress und Cortisol offenbar verschiedene Gene regionsspezifisch in Pyramidenneuronen des Hippocampus.
Die Gesamtzahl der Pyramidenneurone in CA1 und CA3 sowie im Gyrus dentatus von gestressten Tupaias ist im Vergleich mit ungestressten Kontrollen nicht signifikant verändert. Im gesamten Hippocampus gestresster Tupaias sowie einzeln in Stratum radiatum von CA1, aber nicht in der als sensitiv geltenden Subregion CA3 reduziert sich die Anzahl apoptotischer Zellen. Einen Hinweis auf verstärkten Zelltod nach chronisch psychosozialem Stress im Hippocampus von Tupaia gibt es auf Grund dieser Ergebnisse nicht. Chronisch psychosozialer Stress in Tupaia hat eher morphologische als degenerative Veränderungen zur Folge, die nicht allein durch Cortisol gesteuert, sondern vermutlich auch von anderen Faktoren, wie Neurotransmittern und Hormonen, beeinflusst sind.
Dies bedeutet für die Auswirkungen von chronischem Stress auf die exekutiven Funktionen des Hippocampus, dass kein Zellverlust, sondern vermutlich eine Kontrolle der synaptischen Plastizität durch eine veränderte Transkription und Translation für stressabhängige modifizierte Lern- und Gedächtnisleistungen verantwortlich ist.