In diesem Ansatz wurde eine Ontologie zur Modellierung von Figurentheorien entwickelt. Zentrale Idee ist dabei die Modellierung von mentalen Repräsentationen von Figuren, die durch Beschreibungskategorien angereichert wird.
Dafür wurden mehrere bereits vorhandene literaturwissenschaftliche Ansätze genutzt, die als Basis dienen, um ein Modell zur mentalen Repräsentation von Figuren aufzubauen. Dieses Modell wird durch eine Ontologie ausgedrückt. Um Vergleiche von verschiedenen Figurenrepräsentationen durchführen zu können, wurden Kategorien der ausgewählten Figurentheorien genutzt, um Oberklassen für die Ontologie zu bestimmen. Die Hierarchie der Klassen bildet dabei nur eine generelle Struktur der Figuren. Die Beschreibung einer speziellen Eigenschaft oder Information über die Figur erfolgt durch Instanziierung.
Mit der Ontologie wurden verschiedene Anwendungen erprobt, um die Möglichkeiten dieser Methode zu explorieren. Es wurde gezeigt, dass auch auf solch einer speziellen Ontologie logische Operationen mithilfe der Inferenzmaschine Racer und der Sprache Prolog durchgeführt werden konnten. Die meisten Anfragen, die für die Ontologie erarbeitet wurden, konnten Informationen inferieren. Dabei muss jedoch angemerkt werden, dass durch logisches Schlussfolgern keine völlig neuen Informationen generiert werden. Zusätzlich können mehr individuelle oder freie Anfragen nicht durch logikbasierte Konstrukte ausgedrückt werden, was die Abfrage etwas einschränkt.
Außerdem wurden zwei eigene Anwendungen entwickelt, die den Zugang und Manipulation der Ontologie ermöglichen. Die erste Anwendung umfasst ein Client-Server-System, das sowohl Editierung von Figurenrepräsentationen, als auch die Suche und den Vergleich von Repräsentationen zulässt. Dieses System stellt eine Plattform für die Diskussion zu Figurenrepräsentationen dar. Die Ergebnisse werden durch verschiedene Visualisierungen der Figurenrepräsentationen dargestellt. Eine zweite Anwendung beinhaltet die semi-automatische Generierung von Vorschlägen für neue Instanzen für die Ontologie. Sie richtet sich an Anwender, die mit Textannotation vertraut sind. Es wird versucht, die Zeit einer arbeitsintensiven Editierung der Figurenrepräsentationen zu verkürzen. Für diese Anwendung wurde ein bereits vorhandenes Annotationsschema leicht angepasst, damit ein automatisches Parsen des Texts und die Generierung von Vorschlägen für neue Instanzen möglich ist. Exemplarisch wurden Repräsentationen von ausgewählten Teufelsfiguren aus der Faust-Literatur durch die Ontologie modelliert. Unterstützt durch die Ontologie und daraus erzeugte Histogramme, die die Verteilung der Instanzen der mentalen Repräsentationen auf die Klassen in der Ontologie zeigen, wurden Analysen und Vergleiche durchgeführt, um Unterschiede und Ähnlichkeiten dieser Figuren und ihrer mentalen Repräsentationen herauszufinden. So konnten Aspekte der Figuren detailliert und in visualisierter Form erfasst werden.
Es hat sich gezeigt, dass sich eine große Entwicklung zwischen den früheren Teufelsfiguren und späteren vollzieht. Die späteren Figuren haben sich zu modernen Hauptfiguren entwickelt und weisen ein reiches Repertoire an Fähigkeiten und Aktionen auf. In ihren Eigenschaften und Motivationen erscheinen sie teilweise widersprüchlich. Diese Entwicklung vollzieht sich unabhängig vom Genre der jeweiligen Faust-Werke und es scheint, dass die Autoren Konzeptionen aus unterschiedlichen Genres für ihre eigenen übernehmen. Die Ähnlichkeiten, wie magische Fähigkeiten oder der Einsatz von Gewalt, die alle verglichenen Teufelsfiguren und ihre mentalen Repräsentationen aufweisen, führen zu der Vermutung, dass es einen traditionellen Kern einer Teufelsfigur gibt. Zusätzlich kommen die individuellen Ideen der Autoren hinzu, die den Figuren ihre eigene Qualität geben. Obwohl die Figurenkonzeptionen variieren, bewegen sich die Variationen in einem beschränkten Rahmen von akzeptierten Eigenschaften und Aktionen, die zulässig für einen literarischen Teufel zu sein scheinen.
Beim Vergleich von mentalen Repräsentationen verschiedener Leser einer Figur kann das entwickelte System ebenfalls Aufschluss über die Meinungen und das Verständnis von Figuren geben. Bei der Untersuchung von unterschiedlichen Repräsentationen zu einer Figur erwies sich die Ontologie und besonders das entwickelte Client-Server-System als sehr gut geeignet, um die Repräsentationen zu vergleichen und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten zu visualisieren. Denn der Inhalt der Ontologie kann als Ergebnis von Lese- und Rezeptionsprozessen gesehen werden. Obwohl Objekte nur zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt präsentiert werden können, können durch solch eine Ontologie mentale Repräsentationen von Figuren illustriert und festgehalten werden.
Es hat sich gezeigt, dass die Kombination von literaturwissenschaftlicher Analyse und computergestützten Methoden sich als sehr fruchtbar erwiesen hat. Die Ergebnisse zeigen neue Perspektiven auf, die weiter verfolgt werden sollten.