Methylphenidat (MPH; z.B. Ritalin® und Medikinet®), ein zu den Psychostimulanzien gehörendes Amphetaminderivat, wird heute als Mittel der Wahl bei der Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt, obwohl die therapeutische Wirkung des Medikaments immer noch weitgehend unverstanden ist. Das Dopaminsystem gilt bei der ADHS als ursächlich betroffen. Da MPH sein Wirkungsprofil speziell über diesen Transmitter entfaltet, steht Dopamin im Zentrum der hirnphysiologischen Forschung zur ADHS.
Mit der vorliegenden Arbeit wurde die Langzeitwirkung einer chronischen MPH-Gabe während der Adoleszenz auf die strukturelle Reifung des Dopaminsystems im limbo-präfrontalen System der Wüstenrennmaus (Meriones unguiculatus) untersucht. Zum Einsatz kam (1) die orale Vergabeform mit einer klinisch relevanten Dosierung (5 mg/kg/Tag), für die zwei Kontrollgruppen, eine mit Wasser behandelte und eine gänzlich unbehandelte Gruppe, zur Verfügung standen. Außerdem kam (2) die bei Menschen nur in Missbrauchsfällen angewandte, aber in präklinischen Tierstudien übliche, intraperitoneale (i.p.) Vergabe zum Einsatz. Hierfür wurden eine klinisch relevante (5 mg/kg/Tag) und eine überhöhte (50 mg/kg/Tag) Dosierung verglichen. Die Ansätze (1) und (2) wurden durch entsprechende Studien an frühkindlich traumatisierten Tieren (einmalige Methamphetamin-(MA-)Intoxikation) ergänzt, die wie die Tiere aus (1) und (2) aus restriktiver Aufzucht stammten. Die Untersuchung sämtlicher Gruppen (pro Gruppe jeweils zwischen 8 und 11 Tiere) erfolgte im jungerwachsenen Alter (P 90), in dem Gerbils die adulte Ausreifung des Dopaminfasersystems vollzogen haben.
Die quantitativen Analysen der dopaminergen Faserdichte wurden im medialen präfrontalen Kortex (mPFC), im ventralen Striatum, d.h. Nucleus accumbens (NAc) und olfaktorischer Tuberkel (OT), und in dem lateralen (LA), dem basolateralen (BLA), dem lateralen zentralen (CeAl) und dem medialen zentralen Kern (CeAm) der Amygdala durchgeführt.
- Die unbehandelte Kontrollgruppe stellte sich im Nachhinein als besonders wertvolles Werkzeug für eine angemessene Interpretation der MPH-Wirkung nach oraler Vergabe heraus. Denn allein die Behandlung der Tiere mit Wasser führte zu einer verstärkten Reifung der Dopaminfasern im PFC. Das ist als positiver Effekt zu werten, da Käfigtiere per se im Vergleich zu Aufzuchten aus angereicherter Umgebung unter einer suppressiv gereiften Dopamininnervation im PFC leiden, wie frühere Arbeiten gezeigt haben.
- Die orale Vergabe von MPH (Ritalin®) im jugendlichen Alter führte im Vergleich zur gehandelten Kontrollgruppe zu keinen Veränderungen in den gemessenen Gebieten. Die signifikante Anhebung der Dopaminfaserdichte nach Handling wird in den MPH-behandelten Tieren aber in fast allen untersuchten Regionen und Laminae des PFC und im BLA knapp verfehlt, d.h. die MPH-Behandlung beeinträchtigt leicht den Handlingeffekt.
- Die frühkindliche Traumatisierung mittels MA-Intoxikation und anschließende Behandlung mit Wasser bedingte eine suppressive Reifung der dopaminergen Faserdichte im PFC und im BLA.
- Bei traumatisierten Tieren führte die MPH-Behandlung in präfrontalen Gebieten und im BLA zu einer erhöhten dopaminergen Innervationsdichte. Diese gezeigte morphogene Wirkung von MPH auf die Reifung des dopaminergen Transmittersystems ist als positiv zu werten, da sie die suppressive Reifung verhindert.
- Nach i.p.-Vergabe von MPH zeigt sich ein gänzlich anderes Bild. Hier bewirkt die klinisch relevante Dosierung eine Absenkung der dopaminergen Faserdichte im NAc und im CeAm.
- Die Behandlung mit der überhöhten Dosierung bedingt demgegenüber im NAc und im BLA eine erhöhte Faserdichte.
- Bei traumatisierten Tieren führt die Behandlung mit der überhöhten MPH-Dosierung im CeAl zu einer exzessiven Reifung der Dopaminprojektionen.
Für die orale sowie für die i.p.-Studie gilt gleichermaßen, dass MPH (z.B. Ritalin®) eine veränderte Entwicklung des mesokortikolimbischen Dopaminsystems induziert. Notwendigerweise werden die Ergebnisse beider Vergabeformen getrennt in Bezug auf bekannte akute und langfristige Veränderungen nach MPH-Gabe bewertet. Mit dem hier verfolgten breiten Ansatz ist eine morphogene Wirkung von MPH auf die Reifung des dopaminergen Systems belegt. Das Resultat dieser morphogenen Wirkung ist von den begleitenden Umständen, denen die Tiere ausgesetzt waren, abhängig.