Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zu Umweltsoziologie und Wissenschaftssoziologie. Der erste Teil präsentiert einen neuen Forschungsansatz, um die Rolle von Forschung, Technologie und Innovation (engl. STI) für eine nachhaltige Entwicklung empirisch zu untersuchen. Im Zentrum dieser Analyse steht der Begriff der STI-Kapazität. Der zweite Teil untersucht internationale Kooperation in Umweltwissenschaften. Einen Schwerpunkt bildet der Vergleich des Internationalen Geosphären-Biosphären Programms (IGBP) und des Internationalen Hydrologischen Programms (IHP) der Unesco. Diese Fälle stehen exemplarisch für neue Organisationsformen zum Aufbau globalen Umweltwissens - im doppelten Sinn globaler Umweltbeobachtung und einer weltweiten Wissensverbreitung. Derartige Kooperationsprogramme sind aus institutionalistischer Sicht jedoch bislang kaum erforscht.
Der Begriff der STI-Kapazität bezieht sich auf das Umweltpolitik-Modell von M. Jänicke. Diesem Modell zufolge umfasst umweltpolitische Kapazität die längerfristigen, strukturellen Bedingungen politischer Handlungsfähigkeit in Abgrenzung von kurzfristigen, situativen Handlungsbedingungen der Tagespolitik. Jänicke geht davon aus, dass moderne Gesellschaften ein großes Potenzial zur Steigerung ihrer umweltbezogenen Problemlösefähigkeit besitzen, auch wenn diese Fähigkeiten bislang nicht ausreichen, um zentrale Umweltprobleme dauerhaft zu lösen. Die Kapazitätsentwicklung stellt somit eine strategische Aufgabe der Umweltpolitik dar. Während Jänicke den Kapazitätsbegriff auf das politische System anwendet, geht es in der vorliegenden Arbeit um das Wissenschaftssystem und um die Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft. STI-Kapazität ist die Fähigkeit einer Gesellschaft, Wissen und technologische Neuerungen zu schaffen und anzuwenden. Der Kapazitätsaufbau ist Teil eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels angesichts begrenzter ökologischer Lebensgrundlagen.
Im ersten Kapitel wird der Begriff der STI-Kapazität inhaltlich präzisiert. Dabei wird die These vertreten, dass sich die langfristigen Herausforderungen für Forschung und Innovation in vier große Handlungsfelder einteilen lassen: (1.) die ökologische Modernisierung und Transformation von Industrie- und Dienstleistungssektoren, (2.) das Management von Ökosystemen und Ökosystemdiensten, (3.) die Analyse und Bewertung von Umweltrisiken, und (4.) die Anpassung der Gesellschaft an irreversible Umweltveränderungen. Diese Taxonomie dient als Gliederung für einen Literaturüberblick, der bislang getrennte Forschungsansätze verbindet und dadurch aufzeigt, wie das Forschungsgebiet einer umweltsoziologischen STI-Forschung aussehen könnte. Im Anschluss daran untersucht das zweite Kapitel die methodische Operationalisierung des Kapazitätsbegriffs.
Im zweiten Teil untersuchen wir internationale Kooperation, ein wichtiges Teilgebiet der wissenschaftlichen Kapazitätsentwicklung. Denn erstens konzentriert sich die Forschungskapazität bislang in führenden Industrieländern. Dadurch ist es - von der satellitengestützten Beobachtung abgesehen - nur begrenzt möglich, Umweltveränderungen weltweit zu erforschen. Zweitens spielen internationale Programme in der Klimaforschung eine wichtige Rolle. Die Klimaforschung ist ein beeindruckendes Beispiel für den Aufbau wissenschaftlicher Kapazität seit den 1970er Jahren. Daher dienten ihre Kooperationsprogramme in der Praxis zum Teil als Modelle für andere Umweltwissenschaften.
Das dritte Kapitel untersucht den Internationalisierungsgrad umweltwissenschaftlicher Forschung zunächst auf der Feldebene, gemessen in Kopublikationen im Science Citation Index (SCI). Zentral ist hierbei eine neue theoretische Erklärung für Unterschiede im Internationalisierungsgrad, die sich auf R. Whitleys Theorie der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation bezieht. Anhand von vier Feldern belegen wir, dass der Internationalisierungsgrad mit inhaltlichen Merkmalen des Forschungsgegenstandes zusammenhängt. Als Merkmale der kognitiven Struktur unterscheiden wir systemisch-globale von kumulativ-globalen Umweltveränderungen.
Das vierte Kapitel vergleicht die Kooperationsprogramme IGBP und Unesco-IHP aus institutionalistischer Sicht. Das IGBP ist ein disziplinübergreifendes Netzwerk der Erdsystemforschung, während das IHP als Teil der Unesco zwischen Wissenschaft und internationaler Politik angesiedelt ist. Verglichen werden Ziele, Organisationsstrukturen, internationale Beteiligung und Entwicklungsdynamik im Zeitverlauf. Die Analyse basiert auf der Auswertung von Literatur und Dokumenten, Interviews und teilnehmender Beobachtung im Rahmen eines Forschungsaufenthalts beim IHP-Sekretariat. Aus dem Fallvergleich werden allgemeine institutionelle Faktoren abgeleitet, die den Erfolg umweltwissenschaftlicher Kooperationsprogramme beeinflussen. Außerdem werden Empfehlungen zur Weiterentwicklung des IHP formuliert und wichtige Fragen für die weitere Forschung aufgeworfen.