Die Infektionsabwehr in vivo beruht neben der humoralen auch auf der zellulären Immunantwort. Dabei wird vom Organismus u.a. die Strategie der Phagocytose zur Beseitigung von Erregern angewendet. Die dafür verantwortlichen Zellen sind u.a. Granulocyten, die aus dem Blutstrom zum Ort der Entzündung in das Gewebe geleitet werden müssen. Der Gesamtprozess der Adhäsionskaskade besteht aus vier Schritten und beginnt mit dem Verlangsamen der Granulocytengeschwindigkeit durch "Anbinden" und "Rollen" (engl.: "tethering" und "rolling"). Mit dem zweiten Schritt werden die Granulocyten aktiviert und adhärieren schließlich im dritten Schritt fest an die Endothelzellen. Der vierte und letzte Schritt beinhaltet die Durchdringung der Endothelzellbarriere (Diapedese) und das anschließende Einwandern in das darunterliegende Gewebe. Cytokin-induzierte Endothelzellen exprimieren transient E-Selektin, das membranständig auf der Plasmamembranoberfläche präsentiert wird und die Granulocyten über Protein-Kohlenhydrat-Wechselwirkungen in situ "einfängt". Diese Interaktion stellt den ersten Schritt der Kaskade dar. Als Ligand des E-Selektins wurde das sialyl-Lewis x-Epitop (sLe x; Neu5Ac[alpha]2-3Gal[beta]1-4(Fuc[alpha]1-3)GlcNAc-R) entdeckt. Dieses Epitop wurde sowohl auf Glykoproteinen als auch auf granulocytären Gangliosiden detektiert.
Das Arbeitsziel der vorliegenden Arbeit war die Untersuchung der funktionellen Bedeutung dieser Ganglioside für die E-Selektin-vermittelte Zell-Zell-Wechselwirkung. Dazu wurden ein statisches und ein dynamisches Zell-Zell-Adhäsionssystem entwickelt. Als Modellzelllinien wurden HL-60 Zellen statt primärer Granulocyten und E-Selektin-transfizierte CHO-Zellen (CHO-E) bzw. primäre humane Nabelschnurendothelzellen (HUVEC) statt primärer mikrovasculärer Endothelzellen eingesetzt.
Massenspektrometrische Untersuchungen belegten die grundsätzliche strukturelle Übereinstimmung der detektierten Ganglioside von humanen Granulocyten und HL-60 Zellen. Es wurden fünf verschiedene humane Granulocytengangliosidfraktionen, zwei HL-60 Gangliosidfraktionen und eine humane Hirngangliosidfraktion mittels HPTLC getrennt und im Overlay-Assay auf Anwesenheit von CSLEX- und E-Selektin-Epitopen getestet. Anhand von statischen und dynamischen Zell-Zell-Adhäsionstests wurde die funktionelle Bedeutung von Gangliosiden bei der E-Selektin-vermittelten Zell-Zell-Adhäsion nachgewiesen.