Auf der Grundlage des neurokonstruktivistischen Ansatzes von Karmiloff-Smith wird ein Modell rekurrenter Repräsentationsveränderungen (erweitertes RR-Modell) entwickelt, das den Sprachentwicklungsprozess vom vorsymbolischen Handeln zum expliziten Sprachwissen beschreibt. Der aufbauend auf diesem Modell entwickelte diagnostische Leitfaden verfolgt das Ziel, die Sprachentwicklungsdiagnostik bei Kindern mit Down-Syndrom und anderen sprachentwicklungsverzögerten Kindern zu verbessern. Der Einstieg in den diagnostischen Prozess erfolgt hierbei erstmals über den produktiven Wortschatz der Kinder und nicht über ihr chronologisches oder mentales Alter. In Abhängigkeit von der Wortschatzgröße werden drei Einstiegsgruppen definiert, für die jeweils ein unterschiedlicher diagnostischer Fahrplan empfohlen wird. Die Diagnostik erfolgt dabei dynamisch, d.h. die ausgewählten Anforderungen werden flexibel auf das Fähigkeitsniveau des individuellen Kindes abgestimmt. Bei den eingesetzten Instrumenten handelt es sich um aktuelle standardisierte Testverfahren zur Sprachentwicklungsdiagnostik (ELFRA-1 und ELFRA-2, SETK-2 und SETK 3-5), deren Ergebnisse zunächst normorientiert bestimmt und im zweiten Schritt nach qualitativen Kriterien im Rahmen des erweiterten RR-Modells interpretiert werden.
Im empirischen Teil der Arbeit werden die Daten von 28 Kindern mit Down-Syndrom im Alter von vier bis sieben Jahren dargestellt, die mit der gesamten Testbatterie untersucht worden sind. Diese Daten belegen, dass der Worterwerb bei Kindern mit Down-Syndrom tatsächlich große Ähnlichkeiten zum normalen Worterwerb aufweist, was wiederum die Anwendbarkeit des erweiterten RR-Modells bei Kindern mit Down-Syndrom unterstreicht. Andererseits werden die Daten herangezogen, um den vorgeschlagenen diagnostischen Fahrplan zu überprüfen und zu belegen, dass mit der Kombination aus einer normbezogenen Auswertung standardisierter Instrumente und einer theorieorientierten qualitativen Analyse nicht nur eine bessere inter- und intraindividuelle Differenzierung gelingt, sondern auch präzisere Aussagen über die weiteren Entwicklungsschritte eines Kindes möglich werden. Konkrete Hinweise für die modellorientierte Ableitung von Fördermaßnahmen schließen die Arbeit ab.