Der Herzinfarkt zählt nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen. Zusätzlich sind Akut- und Folgetherapie mit erheblichem Aufwand für das Gesundheitswesen verbunden. Kontrollierte Studien haben gezeigt, dass der selektive Einsatz von Medikamenten wie Thrombozytenaggregationshemmern, Betablockern, ACE-Hemmern und Lipidsenkern das Langzeitüberleben von Patienten nach Herzinfarkt verbessert. Zur Verordnungsprävalenz im ambulanten Follow up und zur individuellen Veränderung der Medikation nach Herzinfarkt gibt es kaum Daten. Anhand einer Studienpopulation aus dem Augsburger Herzinfarktregister wurde überprüft, inwieweit die Entlassungsmedikation beibehalten wird oder nicht, inwieweit Entlassungsmedikation als Prädiktor für die Langzeitmedikation gelten kann, und welche Determinanten eine Therapie zum Jahre später liegenden Follow up Zeitpunkt beeinflussen.
An einer retrospektiv gebildeten Gruppe von Patienten aus dem KORA Herzinfarktregister Augsburg (Alter bei Infarkt 25 bis 74 Jahre) aus dem Zeitraum 1985 bis 1997 mit mindestens einer Follow up Information wurden die ambulant verordneten Arzneimitteldaten der Jahre 1995 bis 1998 anhand ihrer ATC-Codes aufbereitet. Es wurden die rohen, stratifizierten und standardisierten Prävalenzen von fünf Arzneimittelklassen (Thrombozytenaggregationshemmer, Betablocker, Calciumkanalhemmer, ACE-Hemmer und Lipidsenker) beschrieben. Stratifiziert wurde nach Geschlecht, Altersklassen, Infarktjahrklassen und Follow up Zeitraum. Die absoluten und relativen Häufigkeiten von individuellen Verordnungsänderungen wurden ebenfalls roh und stratifiziert dargestellt. Die multiple Regressionsanalyse hatte das Ziel, explorativ Prädiktoren für die zwischen Entlassung und Follow-up veränderte Verordnung relevanter Arzneimittelklassen zu finden. Dabei untersuchte Einflussfaktoren waren Alter, Geschlecht, Entlassungsmedikation, Follow up Zeitraum, Infarktjahr und Begleitmedikation.
Für 1665 Herzinfarktpatienten, darunter 387 Frauen mit einem mittleren Alter bei Infarkt von 64,0 Jahren und 1278 Männer, mittleres Alter bei Infarkt 58,6 Jahre, lagen zu mindestens zwei Zeitpunkten Angaben zu insgesamt 9397 verordneten Medikamenten vor. Die Probanden wurden im Durchschnitt 6,1 Jahre nachverfolgt. Häufig wurde die Entlassungsmedikation vom Hausarzt weitergeführt. Tendenziell nahmen die Verordnungsprävalenzen von Entlassung zum Follow-up-Zeitpunkt bei ACE-Hemmern, Lipidsenkern und Thrombozytenaggregationshemmern zu und bei Calciumkanalhemmern ab. Auch die Betablockerverordnungen nahmen tendenziell ab. Dabei erfolgten diese Veränderungen im erheblichen Umfang in beide Richtungen. Am stabilsten wurde die Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern beibehalten. Alter bei Infarkt und Länge des Nachverfolgungszeitraums waren unabhängige Einflussfaktoren für die häufige Verordnung von Betablockern und Lipidsenkern. Patienten, deren Infarktzeitpunkt weiter zurücklag, hatten auch zu den Follow up Zeitpunkten in der Regel weiterhin eine weniger den modernen Richtlinien angepasste Therapie. Wurden Lipidsenker verordnet, war die Wahrscheinlichkeit größer, gleichzeitig Betablocker und ACE-Hemmer zu erhalten.
Mit den vorliegenden Analysen konnte gezeigt werden, dass bei Herzinfarktpatienten des KORA Herzinfarktregisters Augsburg der Jahre 1985 bis 1997 in den Jahren nach ihrem Ereignis in der Verordnung von Medikamenten erhebliche Therapieumstellungen und -abbrüche erfolgten. Neu ist dabei der Nachweis, dass sich die Verordnungsprävalenz aus Querschnittsuntersuchungen zwar abschätzen lässt, dass dieser Schätzer aber kein valides Maß für den Versorgungsverlauf ist. Daraus folgt:
(1) Prognosen, die sich nur auf die Entlassungsmedikation stützen, sind mit erheblicher Unsicherheit bei der Interpretation der Ergebnisse behaftet.
(2) Langzeitverläufe individueller Patientendaten sind notwendig, um versorgungsepidemiologisches Monitoring betreiben zu können.
Verschiedene Gründe können zu den Veränderungen in der Medikation geführt haben. Der Vergleich mit der Literatur zeigt, dass die Augsburger Register- und Surveydaten sehr gut als Indikatoren für den Arzneimittelgebrauch zu bestimmten Zeitpunkten und im Langzeitverlauf dienen können, wenn man potentielle Störgrößen wie Alter, Geschlecht und Begleiterkrankung angemessen berücksichtigt. Epidemiologische Public Health Forschung kann zur Optimierung der Versorgungssituation beitragen und die Effekte von konsequentem Risikofaktoren- und Versorgungsmonitoring aufzeigen.