Der präfrontale Kortex (PFC) gewährleistet als phylogenetisch jüngster Bereich des zentralen Nervensystems übergeordnete Funktionen wie zielgerichtete Handlungen und komplexes Sozialverhalten. Die präfrontale Integration von multimodalen Eingängen auf höchster Ebene wird durch eine sehr selektive inter- sowie intralaminäre Verschaltung zwischen anatomisch und funktionell unterschiedlichen glutamatergen Pyramidenzellen und lokalen Interneuronen in höhergestellten Modulen ermöglicht.
Die Befunde unserer ersten Langzeitstudie (Witte et al., 2007a) lassen für den Kortex erstmalig detaillierte Rückschlüsse über die zugrundeliegenden Reifungsgeschehnisse im Ausgangssystem des PFC zu. In fünf juvenilen Altersgruppen wurden die Efferenzen der präfrontalen Pyramidenzellen im ipsilateralen frontalen (FC), parietalen (PC), agranulär insulären (AIC) und dysgranulär insulären (DIC) sowie im kontralateralen präfrontalen Kortex (CON) mittels des anterograden Tracers Biocytin angefärbt und quantitativ ausgewertet. Es zeigte sich, dass die Faserdichten aus den Lamina III- und aus den Lamina V/VI-Pyramiden einen separaten und hoch dynamischen Verlauf in ihrer postnatalen Entwicklung nehmen: Das Wachstum der Lamina III-Efferenzen verharrte auf einem niedrigen Niveau bis zur Geschlechtsreife, wonach die Faserdichten signifikant im FC und DIC auf adulte Werte im jungen Erwachsenenalter am Tag 90 anstiegen. Die Lamina V/VI-Efferenzen zeigten dagegen einen Rückgang der anfangs hohen Faserdichten zwischen dem Zeitpunkt der Augenöffnung und Tag 19-24, statistisch signifikant im AIC. Im Folgenden beschrieben die Faserdichten ein erneutes Wachstum um die Geschlechtsreife, signifikant im AIC, FC und DIC. Die Befunde wurden im Hinblick auf die morphogene Wirkung der einwachsenden thalamischen glutamatergen und der mesenzephalen dopaminergen Afferenzen während selektiver Zeitfenster diskutiert.
In einer zweiten Biocytin-Studie (Witte et al., 2007b) konnte für das callosale präfrontale System erstmals nachgewiesen werden, dass diese selektive Reifung durch umweltbezogene Interventionen (1. eine frühe neurotoxische Gabe von Methamphetamin, 2. sozial isolierte Aufzucht) maßgeblich beeinträchtigt wird. Jeweils eine der Aufzuchtsinterventionen führte zu einer Absenkung der efferenten Lamina V/VI-Faserdichten im CON verglichen mit Kontrolltieren aus Gehegeaufzucht. Die kombinierte Behandlung dagegen, bestehend aus Methamphetamin-Intoxikation und deprivierter Aufzucht, invertierte diese Einzeleffekte in besonderem Maße, so dass die Lamina V/VI-Efferenzen stark erhöhte Faserdichten im CON aufwiesen; keine Beeinträchtigung war für die Lamina III-Efferenzen zu erkennen. Diese Befunde erweitern frühere Erkenntnisse an unserem Zwei-Phasen-Tiermodell zur pathologischen "Dyskonnektion" der zwei präfrontalen Ausgangssysteme als neuroanatomisches Korrelat der Funktionsstörungen bei Patienten mit Schizophrenie (Bagorda et al., 2006), was hypothetisch von Weinberger und Lispka (1995) postuliert war: Vermutlich bleibt der normale Rückgang der Lamina V/VI-Faserdichten in der dritten postnatalen Woche aufgrund der massiven Störungen durch die kombinierte Intervention aus.
In einer weiteren Langzeitstudie (Brummelte, Witte et al. 2007) habe ich die Reifung von inhibitorisch aktiven GABAergen Interneuronen in limbischen Arealen mituntersucht. Mittels immunhistochemischer Färbemethoden konnte gezeigt werden, dass die GABAergen Faserdichten im PFC nach einer ersten starken Zunahme bis zur Entwöhnung noch weiter bis ins hohe Erwachsenenalter am Tag 520 anstiegen. Dieser stetige Faserumbau könnte eine Grundlage für die Schlüsselrolle sein, die den lokalen GABA-Netzen in der Entstehung und lebenslangen Aufrechterhaltung funktioneller Netzwerke zugeschrieben wird (Hensch, 2005).
In der vierten Studie (Flöel, Witte et al., submitted) geht es um die Frage, ob die große Bedeutung der Umwelt auch auf Gehirnleistungen beim Menschen übertragbar ist. Die Erforschung von neuen, kostengünstigen Strategien, die den altersbedingten kognitiven Abbau verhindern helfen, ist von immenser klinischer Bedeutung. In dieser Querschnittsstudie konnten wir bei 420 älteren, gesunden Personen mittels neuropsychologischer Testverfahren einen signifikanten positiven Zusammenhang von einem gesunden Lebensstil (dokumentiert durch regelmäßige körperliche Aktivität, eine kalorienarme Ernährung, Nichtrauchen sowie moderater Alkoholgenuss) und einer besseren Gedächtnisfunktion unabhängig von Alter, Bildung und Geschlecht aufzeigen.
Diese Ergebnisse der angewandten Forschung beim Menschen unterstreichen den starken Einfluss der Umwelt auf die Plastizität des Kortex. Die tierexperimentellen Studien zeigen außerdem, dass bedingt durch die besonders lang andauernde präfrontale Reifung nicht nur der dopaminergen Afferenzen sondern, wie gefunden, auch der glutamatergen Efferenzen äußere Umweltfaktoren diese verzögerte Entwicklung des PFC erheblich beeinträchtigen können.