Patienten mit fokalen Epilepsien leiden häufig unter neuropsychologischen Funktionsstörungen. Diese werden zumeist durch eine zugrundeliegende morphologische Läsion hervorgerufen. In unmittelbarer Nähe dieser Läsion befindet sich häufig das epileptogene Areal. Neuropsychologische Untersuchungen werden als Routineverfahren eingesetzt, um auf der Grundlage vorliegender neuropsychologischer Modelle über Hirnfunktionsstörungen auf die Hirnpathologie und somit auf die epileptogene Zone zu schließen. Epilepsiepatienten werden hierzu meist in den Zeiträumen zwischen den Anfällen (interiktal) untersucht. Während des Anfalls (iktal) wurden neuropsychologische Untersuchungen bislang nicht standardisiert durchgeführt. Lokalisationsdiagnostische Wertigkeit und Abhängigkeiten iktal geprüfter neuropsychologischer Funktionen wurden, wenn überhaupt, nur unsystematisch untersucht.
Ziel dieser Studie ist es, iktal Abhängigkeiten unterschiedlicher neuropsychologischer Funktionen zu überprüfen und festzustellen, inwieweit durch Funktionsprüfungen Hinweise auf die Lokalisation der Anfallsaktivität gegeben werden können. Außerdem sollte auf dieser Grundlage ein standardisierter iktaler Testablauf für häufige fokale Epilepsien (frontalen und temporalen Ursprungs) entwickelt werden.
Nach einer retrospektiven visuellen Analyse von 469 Anfallsereignissen wurden die Anfälle von 184 Patienten in diese Studie eingeschlossen. Bei 116 dieser Patienten war der Ort der Anfallsaktivität durch gleichzeitig durchgeführte elektrische Ableitungen (intrakraniell oder per Elektroencephalogramm) feststellbar. Bei 29 Patienten zeigte sich eine frontale, bei 87 Patienten eine temporale Anfallsaktivität. Die Patientengruppe mit temporaler Anfallsaktivität wurde weiterhin in Gruppen mit links- (n=38), rechts- (n=21) und bitemporaler (n=28) Anfallsaktivität unterteilt. Durch einen eigens entwickelten Beobachtungsbogen mit ausreichender Auswertungsobjektivität wurde die Prüfung der Funktionen Aufmerksamkeit (Orientierungsreflex, Gestische Reaktion = selektive Aufmerksamkeit), Sprache (expressive Sprache, rezeptive Sprache, Lesen, Wortfindung), Gedächtnis (Orientiertheit = Abruf, Gedächtnis für Anfall und Testung = Einspeicherung) und Bewusstsein (Definition in Anlehnung an die der Anfallsklassifikation der Internationalen League against Epilepsy) festgehalten. Zur Prüfung der Fragestellungen wurden Kappa-Koeffizienten berechnet sowie Einzelfallanalysen, [chi]²-Tests, Fischer-Exakt-Tests und eine Mehrstichproben-Konfigurationsfrequenzanalyse vorgenommen.
Aufgrund geringer Varianz oder seltener Prüfung konnten ausschließlich die Funktionen Orientierungsreflex, Gestische Reaktion, expressive Sprache, rezeptive Sprache, Lesen, Gedächtnis für Anfall und Testung und Bewusstsein in die Auswertung eingehen.
Iktal erwiesen sich als abhängig: Gestische Reaktionen und Lesen vom Orientierungsreflex und rezeptive Sprache von Gestischen Reaktionen. Überzufällig häufig zeigten sich bzw. fehlten außerdem Sprachfunktionen gleichzeitig mit Aufmerksamkeitsfunktionen. Für alle anderen Variablen fanden sich keine Abhängigkeitshinweise.
Die nachfolgenden Funktionen fehlten bei folgender Lokalisation der Anfallsaktivität besonders häufig: Orientierungsreflex und expressive Sprache bei frontaler Anfallsaktivität, rezeptive Sprache und Lesen bei frontaler und links temporaler Anfallsaktivität, Gedächtnis und Bewusstsein tendenziell häufiger bei links temporaler Anfallsaktivität. Außerdem fehlten alle beobachteten Funktionen besonders häufig bei bitemporaler Anfallsaktivität.
Konfigurationsfrequenzanalytisch ergaben sich für jede der vier untersuchten Patientengruppen spezifische Leistungsprofile durch Orientierungsreflex, expressive und rezeptive Sprache.
Nach Abhängigkeitsbetrachtungen und Prüfungen der Lokalisationsaussagen der untersuchten Funktionen ergaben sich Hinweise auf den anzustrebenden Testablauf. Da der Orientierungsreflex die grundlegendste Funktion ist, sollte dieser immer zuerst geprüft werden. Im Anschluss daran sind die expressive und rezeptive Sprache zu prüfen, da diese als abhängig von der selektiven Aufmerksamkeit gelten können und allein durch die Leistungsprofilbetrachtung dieser beiden Funktionen und des Orientierungsreflexes zwischen allen untersuchten Patientengruppen unterschieden werden konnte. Dann ist je nach der Funktionstüchtigkeit der Sprachfunktionen eine verbale oder nonverbale Prüfung weiterer Funktionen vorzunehmen, um die erhaltenen Befunde zu stützen oder zusätzliche Hinweise auf den Ort der Anfallsaktivität zu erlangen. Abschließend sollte immer eine postiktale Gedächtnisprüfung erfolgen.