Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein modifizierender genetischer Locus des neurologischen Phänotyps der Wobbler Maus untersucht.
Die autosomal rezessive Mutation wobbler (Gensymbol wr, Phänotyp WR) führt zu einer Muskelatrophie im Schulter- und Halsbereich, verursacht durch eine Degeneration von Motoneuronen in Hirnstamm und Rückenmark. Der neurologische Phänotyp der Wobbler Maus entspricht dem klinischen Bild humaner spinaler Muskelatrophien (SMA) und der Amyotrophen Lateral Sklerose (ALS). Männliche WR-Mäuse zeigen darüber hinaus einen Spermiogenesedefekt.
Die aus der Intraspezies Kreuzung Mus musculus C57BI/6J x M. m. castaneus hervorgegangenen WR-Individuen bildeten phänotypisch eine heterogene Gruppe mit variabler neurologischer Symptomatik, eine Variation, die im homogenen Mutantenstamm C57BL/6J nicht auftrat. Eine Klassifizierung der WR-Tiere in Subphänotypen konnte durch die teilweise auftretende Paralyse der Hinterextremitäten eindeutig erfolgen. Neben einem extrem progressiven Verlauf der Neuronendegeneration konnte sowohl eine verstärkte Astrogliose als auch eine fortschreitende Aktivierung der Mikroglia im Hirnstamm und Rückenmark der betroffenen Tiere beobachtet werden. Eine signifikant verstärkte Reaktivierung synapsenspezifischer Gene konnte am Beispiel der [alpha]-Untereinheit des nicotinischen Acetylcholinrezeptors (AChR[alpha]) in der Muskulatur der Vorder- (Tricepsmuskel) und Hinterbeine (Gastrocnemius / Soliusmuskel) nachgewiesen werden. Weiterhin konnten Neurofilament-Ablagerungen in motorischen Neuronen des Hirnstammes und des Rückenmarks sowie eine lumbale Axonopathie der ventralen Nervenbahnen festgestellt werden.
Segregationsanalysen führten zur Kartierung eines krankheitsassoziierten "Quantitativen Trait Locus" (wrmod1) auf dem Chromosom 14 der Maus. Die Kartierungsdaten wurden durch die Etablierung einer partiell kongenen Mauslinie bestätigt. Innerhalb des ca. 10,6 Mb umfassenden Kandidatengenintervalls konnte das neuronenspezifische Gen für die mittlere Untereinheit des Neurofilamentes (Nfm) als Kandidat für wrmod1 identifiziert werden. In der kodierenden Sequenz des M. m. castaneus Nfm-Allels wurden drei Punktmutationen nachgewiesen, die jeweils zu Aminosäuresubstitutionen in der carboxyterminalen Domäne führten. Die Substitution K609E betrifft ein hoch konserviertes Lysin-Serin-Prolin (KSP) Phosphorylierungsmotiv und führt unter Umständen zu einer differenzierten Phosphorylierung des NF-M-Proteins. Hieraus könnte ein gestörter axonaler Transport der NF-M-Untereinheiten resultieren, der zu einer beschleunigten Degeneration der durch die Wobbler Krankheit betroffenen Motoneuronen führt.