Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Situation der Tuberkulosekontrolle in Russland und zeigt am Beispiel der Autonomen Republik Tuva auf, welche Probleme eine effiziente Tuberkulosekontrolle erschweren. Dabei wurden Daten aus den Jahren 2006 und 2007 aus verschiedenen russischen Quellen mit denen verglichen, die offiziell an die WHO gemeldet wurden. Darüber hinaus konnten aktuelle Daten aus Tuva mit Hilfe einer prospektiven epidemiologischen Studie gewonnen und in die Gesamtanalyse einbezogen werden.
Hintergrund:
Die Tuberkulosekontrolle in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion steht gegenwärtig vor besonderen Problemen. Steigende Tuberkulosezahlen und Raten multiresistenter (MDR-)Erreger fallen zusammen mit einer zunehmenden Durchseuchung mit HIV/AIDS. Die Einführung des DOTS-Systems (directly observed therapy - short course) der WHO stieß wegen der überkommenen Kontrollstrukturen auf Widerstände.
Fragestellung:
Lässt sich aus den vorhandenen Daten ein aktuelles Bild der Tuberkulosekontrolle erstellen? Dabei sollten auch die vorhandenen Regelungen und Programme offizieller Tuberkulosekontrollinstitutionen berücksichtigt und kritisch beurteilt werden. Eignet sich die Autonome Republik Tuva als Beispielregion, um die Probleme der Tuberkulosekontrolle aufzuzeigen und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln?
Methoden:
Zur Beantwortung dieser Fragen wurden ein systematischer Literaturreview sowie eine Analyse der offiziellen Dokumente zur Tuberkulosekontrolle in Russland vorgenommen. Darüber hinaus wurden Informationen in den verantwortlichen gesundheitspolitischen Institutionen eingeholt. In Tuva wurde eine prospektive Studie zur Tuberkulosesituation durchgeführt.
Ergebnisse und Diskussion:
Nach einem Anstieg in den 90er Jahren haben sich die Tuberkulosezahlen auf einem hohen Niveau stabilisiert. Der hohe Quotient aus Prävalenz und Inzidenz deutet auf lange Krankheits- und Behandlungszeiten hin. Neben steigenden MDR-Raten treten vermehrt schwere Verlaufsformen auf. Defizite in den Kontrollprogrammen umfassen neben Mangel an qualifiziertem Personal und Ausstattung auch fehlende politische Unterstützung und unzureichende Diagnostik und Therapie. Die Autonome Republik Tuva leidet unter besonders hohen Tuberkulosezahlen. Eine höhere genetische Suszeptibilität ist dafür weniger die Ursache als vielmehr eine Konzentrierung von Problemen in der Tuberkulosekontrolle. Es wird eine Angleichung der Übertragungswahrscheinlichkeit zwischen den Geschlechtern und den verschiedenen Ethnien beobachtet. Fehlende mikrobiologische Kontrolle führt häufig zu radiologisch-klinischen Fehldiagnosen. Active case finding ist sehr verbreitet und führt zu kürzerer Behandlungsdauer und weniger schweren Verlaufsformen als bei passive case finding. BCG-(Re-)Vakzinierung ist sehr weit verbreitet und von teils erheblichen Nebenwirkungen begleitet. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurden Empfehlungen an das tuvinische Gesundheitsministerium formuliert. Sie beinhalten eine (zumindest vorläufige) Beibehaltung des active case finding, einen Bestätigungstest für radiologisch-klinische Diagnosen durch Mikrobiologie oder IFN-gamma-basierte Tests, eine Stärkung der mikrobiologischen Diagnostik als Grundlage für Therapieentscheidungen, Surveillance und Monitoring und Umgebungsuntersuchungen und eine Beibehaltung der BCG-Impfung bei Kindern, aber eine Einstellung der (Re-)Vakzinierung Erwachsener.