In den letzten 30 Jahren lässt sich eine starke Zunahme der Zahl studierender Ausländer an deutschen Hochschulen beobachten. Die Zahl der Studierenden aus den osteuropäischen Ländern wie Russland, Polen, Bulgarien, Rumänien und andere hat in den letzten Jahren auffallend zugenommen. Bisher wurde keine Forschung der gesundheitlichen und sozialen Lage dieser Gruppe von Bildungsmigranten durchgeführt. Die empirische Untersuchung, die in der Dissertation vorgestellt wird, hat das Ziel, Erkenntnisse über die psychische Gesundheit, über das Gesundheitsverhalten und über die Ressourcen und Stressoren der Bildungsmigranten zu erlangen.
Die empirische Studie zur gesundheitlichen und sozialen Lage der osteuropäischen Bildungsmigranten wurde anhand quantitativer Methoden erhoben. Der Fragebogen beinhaltet mehrere standardisierte Messinstrumente und darüber hinaus eine Reihe von selbstentwickelten Items. Die statistischen Analysen wurden anhand des Programms SPSS durchgeführt. Die Zielgruppe der Untersuchung waren Studenten aus Osteuropa, die an der Universität Bielefeld studieren. Die Kontrollgruppe bilden deutsche Studierende derselben Universität, die in den gleichen Fächern studieren und sich im gleichen Semester wie die Migrantenstichprobe befinden. Anhand der T-Test-Analyse und der Chi²Test-Analyse wurden die Unterschiede in Bereichen wie depressive Symptomatik, wahrgenommener Stress, Zufriedenheit, psychosomatische Beschwerden, soziale Unterstützung zwischen der Gruppe der Bildungsmigranten und der Einheimischen durchgeführt. Anhand der Faktorenanalyse, der Korrelations- und der Regressionsanalyse wird ein Forschungsmodell überprüft. Es wird getestet, ob und wie die Ressourcen und Stressoren die depressive Symptomatik und den wahrgenommenen Stress der Bildungsmigranten beeinflussen.
Signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen wurden im Bereich der sozialen Ressourcen und der psychischen Gesundheit festgestellt. Die osteuropäischen Bildungsmigranten verfügen über signifikant weniger soziale Unterstützung im Vergleich zur deutschen Kontrollgruppe (p=,010). Die Osteuropäer zeigen im Vergleich mit der Kontrollgruppe deutlich höhere Werte an wahrgenommenem Stress (p=,029). Im Bereich der depressiven Symptomatik ergaben sich auch Unterschiede nach dem Migrationsstatus. 29,3 Prozent der befragten Ausländer gaben eine starke depressive Symptomatik an (über 35 M-BDI Punkte). Im Vergleich dazu wiesen nur 16,5 Prozent der deutschen Studierenden einen M-BDI-Wert von über 35 Punkten auf (p=,026). Anhand des T-Tests wurde festgestellt, dass die Ausländer höhere Raten an Unzufriedenheit, psychosozialer Belastungen und im Bereich einiger psychosomatischer Beschwerden aufweisen.
Anhand der Faktorenanalyse, der Korrelations- und der Regressionsanalyse wurde einen Forschungsmodell überprüft. Es wurde getestet, wie die Ressourcen und Stressoren die depressive Symptomatik und den wahrgenommenen Stress der Bildungsmigranten beeinflussen.
Mittels der Faktorenanalyse wurden bei den osteuropäischen Bildungsmigranten und den deutschen Studierenden als Kontrollgruppe sieben Hauptstressoren festgestellt (die Stressoren "Stressor Migration", "Stressor Soziale Beziehungen", "Stressor Arbeitsbelastung", "Stressor Partnerschaft", "Stressor Isolation", "Stressor Studium", "Stressor Berufsperspektive").
Anhand der Korrelationsanalyse wurden signifikante Zusammenhänge zwischen den Stressoren "Migration", "Soziale Beziehungen", "Isolation" und der depressiven Symptomatik (p<,05) bei den Bildungsmigranten festgestellt. Signifikante Zusammenhänge ergaben sich auch zwischen den Stressoren "Migration", "Isolation", "Partnerschaft" und dem wahrgenommenen Stress (p<,05). Ein signifikanter Zusammenhang wurde zwischen der sozialen Unterstützung und der depressiven Symptomatik festgestellt, wobei der Korrelationskoeffizient negativ war. Das bedeutet: je höher die soziale Unterstützung war, desto niedriger war die depressive Symptomatik bei den Bildungsmigranten.
In den ersten zwei multivariaten Modellen, die die Einflussvariablen für die depressiven Symptome beleuchten, hat der Stressor "Migration" den stärksten Einfluss bei den Bildungsmigranten. Die Migranten, die hoch durch den Stressor "Migration" belastet sind, zeigen ein deutlich erhöhtes Risiko, eine Depression zu entwickeln, im Vergleich zu Migranten, die nicht durch diesen Stressor belastet sind (1. Modell: OR=4,51, p=,000; 2. Modell OR=4,00, p=,000). Auch die soziale Unterstützung zeigte sich als ein wichtiger Einflussfaktor für die Entwicklung depressiver Symptome. Im zweiten Modell, in dem auch der Einfluss von sozialer Unterstützung auf die Entwicklung depressiver Symptome untersucht wurde, kann bei den Bildungsmigranten, die einen hohen Grad an sozialer Unterstützung haben, ein deutlich geringeres Risiko für Depression konstatiert werden, verglichen mit Migranten, die geringe soziale Unterstützung haben (OR=0,52, p=,045).
Die Ergebnisse der dritten und vierten multivariaten Analysen, die die Prädiktoren für wahrgenommenen Stress untersuchen, zeigen, dass der Stressor "Isolation" den stärksten Einfluss auf wahrgenommenen Stress bei den Bildungsmigranten hat. Die Migranten, die hoch durch den Stressor "Isolation" belastet sind, zeigen ein rund 2-fach erhöhtes Risiko für wahrgenommenen Stress im Vergleich zu Migranten, die nicht durch diesen Stressor belastet sind (3. Modell: OR=1,94, p=,029; 4. Modell: OR=1,90, p=,025). Auch im vierten Modell zeigte sich die soziale Unterstützung als ein protektiver Faktor, obschon das Ergebnis nicht signifikant ist. Die ORs weisen darauf hin, dass die Bildungsmigranten, die einen hohen Grad an sozialer Unterstützung aufweisen, ein moderat geringeres Risiko für wahrgenommenen Stress haben, im Vergleich zu Migranten, die eine niedrige soziale Unterstützung angeben (OR=0.88).
In der Diskussion wurden Ideen und Vorschläge über die Verbesserung und Prävention der psychischen Gesundheit der Bildungsmigranten entwickelt. Hinweise für die Verbesserung ihrer sozialen Integration und ihrer gesundheitlichen Situation wurden vorgestellt und diskutiert.