Bei der Rezeption von Texten gibt es affektive Reaktionen. Häufig wird dies in Adjektiven ausgedrückt: Wir sagen, ein Buch sei spannend, traurig, lustig oder beängstigend. Wie lässt sich aber das Entstehen dieser Empfindungen beim Rezipienten erklären? Diese Frage wird in Bezug auf die Emotion der Angst analysiert. Gegenstand der Untersuchung ist dabei der englische Schauerroman (Gothic Novel) des 18. und 19. Jahrhunderts.
Die Methode stützt sich auf Theorien der Psychologie wie die Lerntheorie, kognitive Psychologie und Konflikttheorie, die mit Hilfe von Wolfgang Isers Konzept des impliziten Lesers auf den fiktionalen Text übertragbar gemacht werden.
Es wird dargestellt, wie bestimmte Handlungselemente wie Konflikte, Setting, Motivik etc. durch geeignete Darstellungstechniken eine angsterregende Komponente gewinnen. Dabei muss zwischen den Reaktionen der Protagonisten und des Lesers differenziert werden: auf der Ebene der Protagonisten kann Angst ausgelöst werden, die sich jedoch nicht auf den Leser zu übertragen vermag. Der phänomenologische Ansatz Susan Feagins wird daher angewandt, um zu ergründen, wie sich Empathieempfinden mit den Romanfiguren beim Leser entwickelt und wie somit die Angst der Protagonisten auf den Leser übertragen werden kann.
Gegenstand der Untersuchungen sind sowohl Schauerromane der Vorromantik wie auch der Romantik; die wichtigsten Schauerromane von Walpoles "The Castle of Otranto" bis zu Stokers "Dracula" werden unter der genannten Fragestellung analysiert. Die Texte werden auch in diachroner Sicht untersucht, um herauszufinden, ob es im Verlauf der Geschichte des Schauerromans zu einer Veränderung von Erzähltechniken hinsichtlich ihrer spezifisch affektiven Funktion kommt oder ob die angsterregenden Gestaltungselemente sich nicht signifikant entwickeln. In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass wesentliche Inhalte und Motive der Schauerromane sich ähneln bzw. sich wiederholen, so dass im Laufe der Zeit ein Formelinventar entsteht, innerhalb dessen es ständig wiederkehrende Elemente gibt. In dieser Arbeit wird daher auch untersucht, inwieweit die Intention der Autoren, dem Leser Angst zu vermitteln, den fortgesetzten Rückgriff auf dieses Inventar zur Folge hat.