Seit vielen Jahren wird auf professioneller und disziplinärer Ebene in der Sozialen Arbeit um ein Profil von Profession und Disziplin gerungen. In den 1980er und Anfang der 1990er Jahre fand hierbei noch eine verstärkte Auseinandersetzung mit den moralischen Implikationen professionellen Handelns statt. Doch in den letzten Jahren haben vor allem formale Bestimmungen der Strukturen und Interaktionsverhältnisse Sozialer Arbeit Hochkonjunktur, die bewusst auf eine moralische Perspektive verzichten. In der aktuellen Debatte insbesondere um Neue Steuerungsmodelle und in diesem Kontext in der Konkurrenz mit ökonomischen Modellen wird diese pragmatisch-ideologiefreie Ausrichtung als Vorteil betrachtet, da moralische Theorien im Verdacht stehen, nicht transparent von normativen Vorgaben aus- und mit ihnen umzugehen, und somit oft dem Vorwurf des Machtmissbrauchs ausgesetzt sind. Andererseits scheinen theoretische Modelle, die sich beispielsweise ausschließlich auf Rechte als Bezugspunkt und Begründungsbasis für sozialpädagogisches Handeln beziehen, spätestens auf der Interaktionsebene Handlungsentscheidungen sowie die Qualität des Interaktionsverhältnisses zwischen Professionellen und Adressaten nicht ausreichend begründen zu können, denn nicht alle normativen Grundlagen einer Wertprioritätensetzung in einer Handlungssituation lassen sich durch formale Bestimmungen ersetzen. Vor dem Hintergrund der klassischen Professionsdefinitionen, welche dem Professionsethos eine zentrale Rolle zumessen, wird das Verhältnis einer professionellen Moral in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen hin zu einem Wertepluralismus betrachtet, und verdeutlicht, inwiefern die "Auflösung" einer universell gültigen Moral auch für Soziale Arbeit und ihre moralischen Grundlagen Bedeutung hat. Angesichts der Dilemmata des professionellen Handlungsfeldes sowie der Definitionen der Professionellenrolle geht es darum, Normenbegründungen in der Pädagogik sowie der Sozialen Arbeit näher zu betrachten und Habitusbeschreibungen in der disziplinären und professionellen Debatte sowie Kodizes des beruflichen Ethos und die Problematik der Legitimation und der Durchsetzung von Normen zu diskutieren.
Ausgehend von der Professionsdebatte und insbesondere den Auseinandersetzungen um das sich zunehmend durchsetzende Dienstleistungskonzept wird in dieser Arbeit die subjekttheoretische Seite des Dienstleistungsverhältnisses, also die Interaktionsebene professionellen Handelns betrachtet und definitorisch ausgestaltet. Die bislang vorliegenden Definitionen der personenbezogenen Dienstleistung lassen offen, wie Kontrolle, Legitimation und Macht auf den drei Ebenen sozialarbeiterischen professionellen Handelns (der personalen, der institutionellen und der gesellschaftlich-politischen) zwischen Professionellem und Klienten verteilt bzw. ausgehandelt werden. Im Verhältnis zu bisherigen Konzeptionen professionellen Handelns stellt jedoch laut verschiedenen Beiträgen in der Dienstleistungsdebatte die Wendung zum Subjekt eine entscheidende Veränderung dar. Mit Blick auf diese Subjektwendung wird untersucht, wie Professionelle professionelles Handeln argumentativ begründen und inwiefern hier moralische Bezugspunkte eine Rolle spielen, denn ethische Reflexion wird zumindest in den klassischen Debatten als ein unverzichtbarer Bestandteil von Professionalität gewertet. Die vorliegende Arbeit legt in diesem Kontext Gewicht auf die empirische Überprüfung bestehender theoretischer bzw. programmatischer Konzepte sowie auf die Fokussierung auf die tatsächlich vorfindbaren moralischen Deutungs- und Orientierungsmuster unter Professionellen der Sozialen Arbeit.
Anhand des bisherigen Verlaufs der Professionalisierungsdiskussion in der Sozialen Arbeit und insbesondere einzelner Dienstleistungskonzeptionen wird aufgezeigt, dass die Interaktionsebene zwischen Akteuren in der Jugendhilfe definitorisch noch weitgehend ungeklärt ist. In diesem Zusammenhang werden konstitutive Spannungsfelder des Diskurses, die hinsichtlich der Professionsdebatte von Bedeutung sind, thematisiert, wie beispielsweise das Orientierungsdilemma zwischen Individuum und Gesellschaft, sowie jenes zwischen ökonomischer und sozialer Ausrichtung. Im Kontext des Dienstleistungsmodells wird die Frage nach dessen normativem Gehalt angesichts immanenter Anforderungsdivergenzen in professionellen Handlungssituationen aufgeworfen.
Diesen Fragen wird durch eine empirische Untersuchung zweier Professionellenteams aus verschiedenen Institutionen nachgegangen. Hierbei spielt auch die Methodenkombination von Gruppendiskussion und Vignetten eine besondere Rolle.
Aus den Interpretationen werden vier Topoi in den Mittelpunkt gestellt, anhand derer sich die Ausprägungen moralischer Orientierung zeigen: Moralische Pflichten, Handlungsnormen, Operatoren zur Komplexitätsreduktion und Ziele professionellen Handelns. Diese Topoi emergieren von seiten der Gruppen und werden auch hinsichtlich des Spannungsverhältnisses zwischen Individuum und Öffentlichkeit verglichen.
Der Formalisierungsgrad der Handlungsabläufe in der jeweiligen Institution wirkt sich offensichtlich auf die moralischen Begründungen, die professionellen Handlungsoptionen und das Interaktionsverhältnis zwischen den Akteuren aus. Im Falle von wenigen Regeln auf seiten der Institution besteht zunächst in Handlungssituationen größere Unsicherheit über Interventionsoptionen. Gleichzeitig erhöht sich die Notwendigkeit bzw. Möglichkeit, einen Fall diskursiv zu erörtern und Alternativen abzuwägen und zu entwickeln. Dies bewirkt eine größere Variabilität der Handlungsmöglichkeiten und eine hohe Responsivität der Intervention, die gleichzeitig jedoch auch zeitlicher, Wissens- und anderer Ressourcen für eine extensive Fallbearbeitung bedarf.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass eine hohe Standardisierung der Organisationsstrukturen offensichtlich die Variabilität der Interventionsmöglichkeiten und den Anteil professioneller Responsivität verringert. Regelabläufe verhindern eine angemessene Intervention und fokussieren die Aufmerksamkeit der Professionellen auf die Einhaltung institutioneller Verfahren und Verpflichtungen. In bezug zur sozialen bzw. politischen Entwicklung auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse gesetzt, lässt sich das Orientierungsmuster von Typ I als an einer rational-legalen Autorität nachtraditioneller Gesellschaften ausgerichtet bezeichnen. Typ II repräsentiert in diesem Kontext postmaterialistische Werte, die auf einer Abnahme von Autorität und dem Ziel, Wohlgefühl zu maximieren, beruhen.
Bezogen auf die Dienstleistungsdebatte bedeuten diese Ergebnisse den Abschied vom Mythos der rein pragmatischen Dienstleistungsdefinition. Die Diskussion um die "neuen Professionen", die über das zunächst "moralisch neutrale" Modell des Dienstleistungsverhältnisses auf der Interaktionsebene zwischen Professionellen und Klientel hinaus eine spezifisch normative Ausrichtung für erforderlich hält, gewinnt hier wieder an Bedeutung. Denn die eindeutig adressatInnenbezogene Orientierung des Verhältnisses zwischen den Akteuren scheint nicht originär aus dem Dienstleistungsverhältnis selbst hervorzugehen, sondern bedeutet eine spezifische Ausrichtung des Dienstleistungsverhältnisses, das auf reziproke Anerkennungsverhältnisse zugunsten der KlientInnen als normative Basis rekurriert. Somit wird durch das Dienstleistungskonzept die Qualität der Klientenorientierung nicht eindeutig bestimmt, da genau die pragmatische Grundfigur der Dienstleistung, die sie im Kern "ideologiefrei" macht, Raum für jegliche normative Ausrichtung bietet, sei es ökonomisch oder personenbezogen-sozial. Die Diskussion um sozialpädagogische Professionalität und die Frage normativer (moralischer) Orientierungen der Profession bleibt äußerst relevant. Sofern diese fachlich begründete normative Orientierung nicht mit dem Dienstleistungskonzept verbunden diskutiert wird, wird das gesellschaftlich dominante ökonomisch-utilitaristische Sprachspiel - wie in managerialistischen Modellen geschehen - die Lücke ausfüllen. Aus der habituellen Ausprägung des reziprozitätsorientierten Typs wird ein Ansatz zur anerkennungstheoretisch fundierten Dienstleistung entwickelt.