Anhand von Leitbildern (Mission Statements) von Hochschulen wird in der Arbeit der institutionelle Wandel der Universität von der Institution zur Organisation in den zeitgenössischen Hochschulreformen untersucht. Hochschulen in Deutschland, wie auch in anderen nationalen Hochschulsystemen, beginnen sich im Rahmen der Anfang der 1990er-Jahre einsetzenden New Public Management Hochschulreformen Leitbilder zu geben und übernehmen dabei das Konzept Leitbild/Mission aus dem Unternehmensbereich. Heutzutage können die meisten Universitäten ein entsprechendes Leitbild ihrer Universität präsentieren und diese werden ihnen in den unterschiedlichsten Kontexten selbstverständlich abverlangt. Die Untersuchung geht entsprechend an den Ausgangspunkt dieses institutionellen Wandels zurück und untersucht die Einführung, Verbreitung und Etablierung von Leitbildern deutscher Universitäten sowie die Gegenstandskonstitution von Leitbildern im Hochschulreformdiskurs sowie in der Organisationspraxis. Ziel ist es, dabei anhand von Leitbildern von Universitäten zu zeigen, wie die Leitbildgebung von Universitäten zu deren Organisationswerdung beitragen soll und beiträgt. Da deutsche Universitäten bis dato die Humboldtsche Universitätsidee zum Leitbild hatten und ihre Missionen ihnen weitestgehend staatlicherseits (Hochschulrahmengesetz, Landeshochschulgesetze) aufgegeben sind, werden zudem die Leitbildinhalte analysiert, um zu verstehen, was und wie sich Universitäten darin präsentieren.
Eingebettet ist die Untersuchung von Leitbildern auf der Innenseite und Außenseite der Universität in eine diskursanalytische Forschungsstrategie (Foucault), in der die Untersuchung von Reformdiskurs und Organisationspraxis durch den Gegenstand Leitbild verkoppelt sind. Damit wird vorausgesetzt, dass Leitbilder als Reformelement zugleich Ausdruck und Produkt eines gewandelten Anforderungsprofils und Selbstverständnisses sind. In methodischer Hinsicht werden für die Untersuchung drei Verfahren angewendet: ein diskursanalytisches Verfahren der Untersuchung entsprechender Reformdiskurse, eine hypothesengenerierende hermeneutische Detailanalyse von drei Leitbildtexten von Universitäten und entsprechenden Leitbildprozessen sowie eine Inhaltsanalyse von rund 100 Leitbildtexten von deutschen Universitäten und Fachhochschulen, die der Überprüfung entsprechender Hypothesen zu Textgestalt und Textstrategien der Leitbildtexte dient.
Für die Karriere des Leitbildkonzeptes im Hochschulbereich erweisen sich die Sprecherpositionen Beratungsinstanz und Hochschulleitung als zentral. Leitbilder werden Hochschulen respektive Hochschulleitungen von unterschiedlichen und zum Teil neuen reformpolitischen Akteuren und zunächst nicht von der Hochschulpolitik nahegelegt. Letztere gibt lediglich den Grundtenor der Reformen und damit das Modell des New Public Management vor. Die Analyse zeigt, dass sich eine Entwicklung vom Auftauchen der Leitbilder über ihre Verbreitung und ihr Modisch-Werden hin zu ihrer Etablierung rekonstruieren lässt, bei der differente Facetten des Phänomens bestimmend sind: Ist zu Beginn in den 1990er-Jahren zunächst der Organisationsentwicklungs- und Profilbildungsaspekt die zentrale Bestimmung von Leitbildern und Leitbildprozessen, wird nach 2000 im Kontext der Ernüchterungen der Leitbildern zugeschriebenen Wirkungserwartungen ein individuelles Selbstverständnis, eine Idee auf Organisationsniveau, zentral. In jüngster Vergangenheit tritt hingegen der Aspekt der Markenwerdung (corporate branding) von Universitäten in den Vordergrund. Insgesamt zeigt sich dabei, dass Leitbilder selbst ab spätestens Mitte des Jahrzehnts als selbstverständlich gelten, was den Beginn der Wirksamkeit derartiger Ideen auf Organisationsniveau (deren Institutionalisierung) dokumentiert.
Die Analyse der Leitbildtexte selbst zeigt, dass diese universitätsspezifische Differenzinszenierungen und keine profilbildenden Aussagen im Sinn der Bildung substantieller Profile enthalten. Universitäten bauen auf ihre substantiellen Profile eine symbolische Profilbildung und organisationale Images auf. Dabei nutzen sie ihre Gründungsgeschichte, ihr je spezifisches Fächerprofil und wo möglich auf ihre geographische Lage zurück. Und dies tun sie in den untersuchten Fällen äußerst erfolgreich und beziehen sich dabei auf organisationale Wettbewerbsfelder, in denen sich Universitäten befinden, die ihnen hinsichtlich ihres Gründungskontextes und Fächerprofils ähnlich sind. Über die Differenzinszenierungen und differenten organisationalen Images hinaus, enthalten Leitbildertexte jeweils einen Teil in dem sie sich auf die Mitglieder der Organisation beziehen. Darin entfalten Leitbildtexte neue Motive und diskurskonforme Handlungsbegründungen für die gewohnten und seitens des Hochschulrahmengesetzes festgeschriebenene Aufgaben der Universitäten, in dem sie diese mit modernen Begrifflichkeiten kontextualisieren.
Die Antwort auf die im Titel der Arbeit aufgeworfene Frage fällt damit insgesamt geteilt aus: Universitäten entwickeln mit Leitbildern ein Selbstverständnis als moderne Organisation und "Gesamtunternehmen", sehen sich dabei zugleich weiterhin als "loser Zusammenhang" von Fachdisziplinen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Während jedoch die traditionelle Bestimmung der Universität als sozialer Institution und die moderne Bestimmung der Universität als Organisation aufgrund ihrer unterschiedlichen legitimierenden Ideen in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, werden wie mit Medium Leitbild sprachlich und begrifflich integriert und auf diese Weise tragen Leitbilder zur Organisationswerdung von Universitäten bei.