Die Dissertation untersucht den Zusammenhang zwischen dem Phänomen der geistigen Behinderung und den Bedingungen des organisierten Sports in Deutschland. Ausgangspunkt der Thematik ist der geringe Organisationsgrad von Menschen mit geistiger Behinderung in den Sportvereinen und -verbänden. Ihre Teilhabe an dem gesellschaftlichen Bereich Sport ist noch jung, da viele Jahre diese Personengruppe einem Prozess der Ausgrenzung unterlag, der auf einem defizitorientierten Menschenbild fußte. Die Zielgruppe gewann erst Ende der 90er Jahre insbesondere im Dachverband des Behindertensports, dem Deutschen Behindertensportverband (DBS), erheblich an Bedeutung.
Die Studie beschreibt nicht nur den Wandel von der Ausgrenzungs- hin zu einer aktiven Partizipationspolitik des DBS, sondern erklärt ihn auf der Basis der soziologischen Systemtheorie und analysiert somit die Bedingungen der Inklusion und Exklusion für die Zielgruppe.
Die Ursachen der geringen Partizipation wurden zunächst in der Kommunikation des Phänomens Geistige Behinderung auf der Ebene der Gesellschaft, des Individuums und der Organisation erforscht. Die Analyse erbrachte auf der Ebene der Gesellschaft und des Individuums keine hinreichenden Gründe, um den geringen Partizipationsgrad zu erklären. Vielmehr erschweren organisatorische und institutionelle Hindernisse eine Teilnahme.
Daher wurde die Organisation DBS organisationstheoretisch betrachtet. Auf der Basis der systemtheoretischen Überlegungen wurde ein Kategoriensystem für einen Interviewleitfaden erstellt, das eine zielgerichtete und theoriegeleitete qualitative Befragung relevanter Entscheidungsträger auf Verbands- und Vereinsebene ermöglichte. Die Darstellung der empirischen Ergebnisse erfolgte mittels der qualitativen Inhaltsanalyse, welche anhand eines Schemas sechs unterschiedliche Kommunikationsbeziehungen fixierte und so das Interviewmaterial in sinnvollen thematischen Einheiten systematisch analysierte.
Die empirischen Ergebnisse zeigten, dass sich für den organisationalen Wandel die Veränderung der verbandsinternen Kommunikation des Phänomens Geistige Behinderung von einer ehemals vorzufindenden defizit- hin zu einer kompetenzorientierten Sichtweise und daraus folgernd für die Inklusion die Übersetzung von Reflexionen in Strukturen als entscheidend erwies. Die Inklusion der Zielgruppe in den organisierten Sport gelingt für einen Großteil der Personengruppe nur über eine Form der unterstützten Inklusion, welche sich u.a. auf die extrinsische Motivationslage, Mobilität, Finanzen, Begleitung in den Stunden und ehrenamtliche Mitarbeit bezieht. Die Steuerung der Inklusion entspringt der heterarchischen Zusammenarbeit des DBS mit den für die Sportorganisation der Zielgruppe mitverantwortlichen, externen Kooperationspartnern (insbesondere den großen Behindertenverbänden).
Den Ausdifferenzierungsprozess des eigenständigen Binnensystems "Sport von Menschen mit geistiger Behinderung" in der Organisation des DBS leitete bereits Anfang der 80er Jahre ein Fachausschuss mit dem Prozess der thematischen Reinigung ein. Die Reflexionen mündeten jedoch erst Mitte der 90er Jahre in die Einsetzung einer Präsidialkommission. Die im Zuge des Prozesses der thematischen Reinigung notwendigen Entscheidungen wurden aufgrund sportinterner Interessen (erhoffter sportpolitischer Machtzuwachs aufgrund größerer Mitgliederzahl) und sportexterner Leistungsbezüge (Politik) getroffen. Das Auftreten einer Konkurrenzorganisation im Behindertensport (Special Olympics Deutschland) fungierte als Reflexionsbeschleuniger, da der Monopolanspruch des DBS bedroht war. Die Überlegungen der Präsidialkommission übersetzte der Verband in Strukturen. Deutlich werden diese neu geschaffenen Strukturen an den Konditionalprogrammen Beurteilungsskala und Sportabzeichen, am Zweckprogramm Projekt 2004 und an den auf unterschiedlichen Ebenen durch Ansprechpartner klar vorgezeichneten Kommunikationswegen sowie einer hauptamtlichen Stelle. Die Entscheidungen bildeten ein ausdifferenziertes Subsystem heraus, das sich durch seine kennzeichnenden Leitlinien abgrenzt, aber die Personengruppe im Verband verortet und sie nicht in eine eigene Sportorganisation segregiert.
Aufgrund der dargelegten notwendigen Unterstützung für die Personengruppe sollten der Verband und die Vereine über Advokaten und Lobbyisten zukünftig verstärkt sowohl freiwillige Helfer als auch Sponsoren werben, da nur so der Inklusionsgrad der Zielgruppe erhöht werden kann.