Der empirische Gegenstand der ethnografischen Studie ist die Praxis der Polizei, zu der ich durch einen sechsmonatigen Aufenthalt in einem Präsidium mittels teilnehmender Beobachtung Zugang erhielt. In einem ersten Schritt verschaffte ich mir einen Einblick in verschiedene Arbeitsbereiche. Dieses Material war die Grundlage für eine analytische Beschreibung von unterschiedlichen polizeilichen Arbeitsprozessen, deren Zusammenspiel eine besondere Systematik der Polizeiarbeit erkennen lässt. Entgegen gängiger Auffassungen von Polizei und Polizeiforschung, die das zentrale Moment der Polizeiarbeit "auf der Straße" verorten, wird gezeigt, dass die Ausbildung polizeilicher Relevanzen vor allem durch die spezifischen Verfahren der Berichterstattung innerhalb des Präsidiums prozessiert werden. Um weiteren Aufschluss über die Art und Weise der Erarbeitung polizeilicher Relevanzen zu gewinnen, habe ich in einem zweiten Schritt meine Beobachtungen auf einen Ort fokussiert, an dem unterschiedliche Berichterstattungen nicht nur hergestellt werden, sondern auch Gegenstand von internen Aushandlungsprozessen sind: den Lageberichten der polizeilichen Führungskräfte. Ihre ethnografische Analyse ergibt eine polizeiliche Handlungstheorie, die als praktisches Raster dient, "die Welt" zu ordnen, zu erfassen und die polizeilichen Handlungsoptionen zu bestimmen. Die beständige Anwendung der Handlungstheorie ermöglicht es der Polizei, sowohl auf Seiten der "Weltteilnehmer" wie auch auf Seiten der Polizei selbst Akteure, Aktivitäten und Aktivitätsorte zu bestimmen und in einen relevanten Zusammenhang zu stellen. Die praktizierte Handlungstheorie erweist sich als grundlegendes Muster, mit der die Polizeiarbeit organisiert wird. Die soziologische Analyse und Formulierung dieses professionellen Musters ermöglicht den Blick darauf, was die polizeiliche Handlungstheorie nicht zu fokussieren vermag: Sie stösst dort an ihre Grenzen, wo die Kombination der "weltlichen" Akteure, ihrer Aktivitäten und Aktivitätsorte scheitert, wie am Beispiel der Organisierten Kriminalität gezeigt wird.
Die praxisorientierte Analyse der Polizeiarbeit bietet Erkenntnisse über Verlaufslogiken und Konsequenzen polizeilichen Handelns, die sowohl für die polizeiliche Praxis selbst wie auch für eine rechtsstaatliche und demokratietheoretische Perspektive auf die Polizei fruchtbar zu machen sind.