Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, in welchem Maße und unter welchen Bedingungen Patienten mit einer Hirnverletzung durch Schädel-Hirn-Trauma noch in der Lage sind, zwei Aufgaben gleichzeitig durchzuführen. Störungen dieser Fähigkeit wurden immer wieder als besondere Defizite hirngeschädigter Patienten beschrieben. Dabei blieb es aber oft unklar, ob es sich um eine generelle Schwäche der parallelen, simultanen Bewältigung unterschiedlicher Aufgaben handelt oder ob das Defizit nur unter bestimmten, spezifischen Bedingungen der Aufgabenstellung auftritt.
Die Fähigkeit zur parallelen Bewältigung unterschiedlicher Aufgaben (Dual-Task Aufgaben) wird in der Neuropsychologie häufig als ein besonders wichtiger Aspekt der so genannten exekutiven Funktionen betrachtet.
Nach allgemeiner Auffassung sind Störungen der exekutiven Funktionen besonders häufige und gravierende Folgen gedeckter Schädel-Hirn-Traumata, sehr wahrscheinlich aufgrund der dabei meist eintretenden Schädigung frontaler Hirnstrukturen und des Marklagers mit seinen vielfältigen intra- und interhemisphärischen axonalen Verbindungen. Auch Verhaltensauffälligkeiten und sozial inadäquate Reaktionen der Patienten können als Ausdruck der exekutiven Störungen gedeutet werden.
Um die Frage aufzuklären, unter welchen spezifischen Bedingungen sich Störungen in der parallelen Bearbeitung unterschiedlicher Aufgaben bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma manifestieren, wurde ein neues Dual-Task Paradigma entwickelt, bei dem phonologische oder figurale Informationen jeweils gleichzeitig mit räumlichen Informationen enkodiert und für eine anschließende Entscheidung im Arbeitsgedächtnis festgehalten werden müssen. Das Paradigma unterscheidet sich von den sonst üblichen Dual-Task Aufgaben dadurch, dass bei jeder Stimuluspräsentation zwei unterschiedliche visuelle Informationen beachtet und im Gedächtnis behalten werden müssen, ohne dass die Versuchsperson dabei weiß, welche der beiden für die bei der anschließenden Abfrage verlangte Antwort relevant ist.
Durch die paarweise Kombination von solchen kognitiven Prozessen, die entweder vorwiegend Verarbeitungs-Ressourcen der linken Hemisphäre (phonologische Prozesse) oder aber der rechten Hemisphäre (figurale und räumliche Prozesse) beanspruchen, sollte das Paradigma die Effekten der inter- und intrahemisphärischen Kooperation bzw. Interferenz prüfen. Als Vergleichs- oder Kontrollaufgaben wurden jeweils Single-Task Aufgaben mit gleichartigem Stimulusmaterial konstruiert.
Auf der Basis allgemeiner Modellvorstellungen über den Dual-Task Effekt wurde erwartet, dass die Kombination von solchen Aufgaben, die beide dieselben oder überlappende neuronale Verarbeitungssysteme beanspruchen, zu einem stärkeren Dual-Task Effekt führt als die Kombination von Aufgaben, die unterschiedliche Verarbeitungssysteme beanspruchen. Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma wurde ein besonders deutlicher Dual-Task Effekt erwartet und, im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen dysexekutiven Störungen und Verhaltensauffälligkeiten, weiterhin eine Akzentuierung der Effekte bei Patienten mit klinisch manifesten Verhaltensstörungen vermutet.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die relative Leistungsreduktion im Sinne des Dual-Task Effekts bei Patienten und Gesunden für die Mehrzahl der erhobenen Variablen vergleichbar stark war; die Leistungen der Patienten lagen lediglich auf einem deutlich niedrigeren Niveau.
Eine besondere Dual-Task Schwäche der Patienten konnte jedoch für eine bestimmte Aufgabenstellung nachgewiesen werden: die Kombination der phonologischen mit der räumlichen Aufgabe. Während den Gesunden hierbei generell nur wenige Fehler unterliefen, zeigten die Patienten einen deutlichen Leistungseinbruch, der vor allem die phonologische Komponente der Enkodierung und des Arbeitsgedächtnisses betraf. Dieses spezielle Defizit weist auf eine besondere Vulnerabilität sprachlich/räumlicher Parallelverarbeitungsprozesse bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma hin.
Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Bewältigung der phonologisch/räumlichen Dual-Task Aufgabe sowohl spezifisch rechtshemisphärische als auch spezifisch linkshemisphärische kognitive Prozesse in Anspruch nimmt, liegt der Schluss nahe, dass die Hirnschädigung der Patienten eine gleichzeitige und vielleicht auch gleichgewichtige Aktivierung beider Hemisphären beeinträchtigt.