Im Rahmen dieser Arbeit werden Gustav Schmoller und Karl Bücher als Angehörige der älteren Generation, Werner Sombart und Max Weber als solche der jüngeren Generation der kaiserzeitlichen historischen Nationalökonomie betrachtet, deren Entwicklungsüberlegungen hier untersucht werden. Gemeinsam ist allen behandelten Autoren die zentrale Frage nach der Genese der modernen Wirtschaft. Gemeinsam ist ihnen ebenfalls, dass sie wirtschaftliche Entwicklung nicht als allein aus wirtschaftlichen Ursachen erklärbar betrachten, sondern sie in umfassendere Prozesse der kulturellen Entwicklung eingebettet sehen. Ebenso sind sie verbunden durch ihr Interesse an den Motivationen wirtschaftlichen Handelns.
Die ältere Generation betrachtet Entwicklung, trotz zahlreicher ambivalenter Ausführungen, als gesetzmäßigen und linearen Prozess des Fortschritts. Wirtschaft wird nicht als individuelle, sondern als soziale Tätigkeit gesehen und ihren Überlegungen liegt die Vergrößerung der wirtschaftenden Einheiten bis hin zum Zustand der Volkswirtschaft zugrunde. Wesentliches Mittel zur Erfassung und Darstellung von Entwicklung sind Stufentheorien, die durch Reihung von als statisch aufgefassten Zuständen gebildet werden. Schmoller orientiert sich dabei an der Vergrößerung der politischen Einheiten, Bücher an den Austauschverhältnissen. Es ist zu berücksichtigen, dass beide ihre Stufentheorien in umfassendere Überlegungen einbinden. Schmoller stellt dabei vor allem den psychisch-sittlichen Fortschritt als Grundlage der organisatorisch-institutionellen Entwicklung in den Vordergrund.
Weber und Sombart bezeichnen die moderne Wirtschaft mit dem Begriff Kapitalismus und konzentrieren sich besonders auf den kapitalistischen Geist. Trotz identischer Terminologie stimmen sie jedoch in ihren Ausführungen keineswegs überein. Während Sombart den kapitalistischen Geist als zentrale Ursache des Kapitalismus darstellt und seine Entstehung im wesentlichen aus biologischen Faktoren erklärt, geht Weber von einem Dualismus von kapitalistischer Form und kapitalistischem Geist aus, die nicht auseinander erklärbar sind, und konzentriert sich in seiner Untersuchung des kapitalistischen Geistes auf den Zusammenhang von Konfession und Wirtschaftsethik, den Sombart seinerseits ablehnt. Mit seinen Untersuchungen zur Ethik steht Weber auch in direktem Gegensatz zu Schmoller, der in seinen Ausführungen zu Psychologie und Sittlichkeit eine Entwicklung hin zu den "richtigen" ethischen Werten behauptet, um seine sozialpolitischen Zielsetzungen zu stützen. Dem setzt Weber sein Werturteilspostulat entgegen, das eine Untersuchung ethischer Aussagen nur auf ihre Wirkung, nicht aber auf ihre Gültigkeit hin zulässt.
Die jüngere Generation unterzieht die älteren Überlegungen einer eingehenden Kritik. Sie richtet sich zum einen gegen die methodischen Probleme der Stufentheorien, besonders die Frage des Realitätscharakters der Stufen, die von der älteren Generation entweder nicht als Problem erkannt oder aber nicht gelöst wird. Sombart wie Weber bestehen mit der Entwicklung des Idealtypus auf einer eindeutigen Trennung von konstruierten Stufen und Realität. Des weiteren lehnen sie die Annahme der Gesetzmäßigkeit von Entwicklung ab und wenden sich mit dem Postulat der Werturteilsfreiheit gegen eine als Fortschritt im Sinne einer Wertsteigerung aufzufassende Entwicklung. Trotz der Kritik lehnen beide Stufentheorien nicht völlig ab. Sombart entwickelt im Anschluss an sie seine Wirtschaftssystemlehre, Weber betrachtet sie als nicht unproblematisches, aber mögliches heuristisches Mittel. Trotz aller festgestellten Differenzen ist an der Zuordnung Webers und Sombarts zur historischen Nationalökonomie festzuhalten, ist doch deutlich, dass für beide die Auseinandersetzung mit den älteren Überlegungen wesentliche Ansatzpunkte zur Bildung eigener Positionen liefert, wobei sie sich bemühen, methodische Mängel zu vermeiden, ohne grundsätzliche Fragestellungen aufzugeben.