Hintergrund der Studie ist, dass retrospektive Methoden der Veränderungsmessung (VM) nicht in jedem Fall zu Ergebnissen führen, die mit der herkömmlichen Methode (indirekten Methode) übereinstimmen. In welcher Weise sich verschiedene Methoden der VM mit der Erhebung von Parametern der subjektiven Gesundheit zur Dokumentation und Evaluation des Therapieverlaufes und zur Prognose des weiteren Krankheitsverlaufes eignen, ist bisher in Deutschland im Bereich der Rehabilitation nicht untersucht worden.
Daher war es Ziel der Studie, die verschiedenen Methoden der VM hinsichtlich ihrer Übereinstimmung zu untersuchen, zum anderen herauszufinden, welches die prognostischen Eigenschaften der unterschiedlichen Methoden sind.
Für die folgenden Analysen verwendeten wir 3 verschiedene Methoden der VM: die indirekte Methode und 2 Varianten der direkten Methode.
Bei der indirekten Methode werden die interessierenden Merkmale zu definierten Beobachtungszeitpunkten erhoben. Die Veränderung errechnet sich aus der Differenz zwischen den zum 1. und 2. Messzeitpunkt erhobenen Messwerten.
Bei der 1. Variante der direkten Methode - dem "direkten" Vergleichsurteil - wird der Patient am Ende der Rehabilitation gebeten, eine wahrgenommene Veränderung gegenüber einem früheren Zustand in den Kategorien "verbessert - unverändert - verschlechtert" zu beschreiben. Bei der 2. Variante der VM ("erinnertes Prä") wird der Patient am Ende der Rehabilitation aufgefordert, neben der aktuellen Einschätzung seiner gesundheitlichen Situation diese zu einem früheren Zeitpunkt einzuschätzen und zwar anhand derselben Items und Skalen, wie sie zur Erhebung des aktuellen Zustandes verwendet wurden. Die Veränderung errechnet sich dann aus der Differenz zwischen "erinnertem Prä" und "Post-Messung".
Methodik: Grundlage der Studie bilden Patienten, die an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme der Rentenversicherungen teilgenommen haben (N=426). An 4 Messzeitpunkten (zu Beginn, am Ende des Reha-Aufenthaltes, ½ Jahr, 1 Jahr nach der Reha) erfolgte eine standardisierte schriftliche Befragung der Patienten. Neben sozialmedizinischen Erfolgsgrößen (wie z.B. Arbeitsunfähigkeit) wurden verschiedene Aspekte der subjektiven Gesundheit erfasst. Zum 1., 3. und 4. Messzeitpunkt erhielten alle Patienten zur Erfassung der Outcome-Variablen identische Fragebögen (FB). Zum 2. Messzeitpunkt wurden zwei unterschiedliche FB-Versionen verwendet.
Mittels nach Klinik stratifizierter Randomisierung wurden alle an der Studie teilnehmenden Patienten in zwei Untergruppen aufgeteilt. Die Patienten der Gruppe I wurden am Ende der Reha gebeten, neben der aktuellen Einschätzung eine wahrgenommene Veränderung gegenüber einem früheren Zeitpunkt zu beschreiben. Die Patienten der Gruppe II wurden aufgefordert, anhand derselben Skalen und Items, wie sie für die Erhebung des Post-Status verwendet wurden, ihre Situation zu einem früheren Zeitpunkt einzuschätzen.
Für die Gegenüberstellung der mit den drei Methoden der VM erzielten Resultate wurden die Differenzscores zu drei Gruppen zusammengefasst: positive Differenzen "Verbesserung", negative Differenzen "Verschlechterung" und Differenzen mit dem Wert Null "unveränderter Zustand". Beim direkten Vergleichsurteil wurden die fünf Antwortmöglichkeiten zu drei Kategorien zusammengefasst: verbessert - verschlechtert - unverändert.
Als statistische Maßzahlen zur Beschreibung der Übereinstimmung zwischen den Varianten der VM wurden der Rangkorrelationskoeffizient r(S) nach Spearman und die zufallskorrigierte Übereinstimmung nach Cohen berechnet (Kappa, Cohen 1960).
Als exploratives Verfahren zur Untersuchung der prognostischen Eigenschaften der verschiedenen Methoden wurde die multiple lineare bzw. logistische Regression angewendet.
Ergebnisse: Die anhand von r(S) und Kappa durchgeführten Analysen zeigten eine mittlere bis mäßige Übereinstimmung zwischen der indirekten und der "erinnerten Prä"-Methode. Eine schlechte Übereinstimmung zeigte sich im Vergleich der indirekten Methode der VM mit dem direkten Vergleichsurteil.
Anhand der erklärten Varianzen (R2 in der multiplen linearen Regression), mit denen die Prädiktion der indirekten Methode versus der erinnerten Prä-Methode bzw. der indirekten Methode versus dem direkten Vergleichsurteil untersucht wurde, zeigten sich nach einem halben Jahr keine systematischen Unterschiede in der Prognosefähigkeit der indirekten versus der beiden direkten Methoden der VM. Ein Jahr nach der Rehabilitation scheinen beide direkten Methoden geringfügig besser die abhängigen Variablen zu prädizieren als die indirekte Methode.
Diskussion: Die indirekte und beide Varianten der direkten Methode stimmen anhand der üblichen Kriterien nur schlecht bis mäßig überein. Insgesamt betrachtet zeigen sich nur schwache Unterschiede in den prognostischen Eigenschaften der verschiedenen Methoden. Abhängig von den verwendeten Prädiktorvariablen, den zu prädizierenden Outcome-Variablen und dem Eintreten kurz- bzw. langfristiger Ereignisse wird mit den drei untersuchten Methoden besser oder weniger gut prädiziert. Ein zusätzlicher Informationsgewinn durch eine höhere prognostische Wertigkeit, die den Einsatz der direkten VM vor der indirekten Methode rechtfertigen könnte, ist nicht eindeutig erkennbar.