Interpersonale Kommunikation lässt sich als ein multidimensionales Phänomen beschreiben, welchem nur allzu oft eine Selbstverständlichkeit im alltäglichen Miteinander zugesprochen wird. Ihre Signifikanz und Relevanz wird uns zumeist erst dann bewusst, wenn wir unser Gegenüber nicht verstehen oder uns nicht verständlich machen können. Interaktionssituationen zwischen Personen mit unterschiedlicher kultureller Herkunft beinhalten häufig kulturell bedingte Verhaltensdifferenzen, die nicht selten zu Irritationen und Verständigungsproblemen führen. Diese Abweichungen bestehen jedoch nicht nur auf der verbalen Ebene, sondern sie sind vor allem im Bereich des häufig wenig berücksichtigten nonverbalen Verhaltens zu finden. Dies stellt insbesondere für den Fremdsprachenunterricht mit der Zielsetzung einer konfliktfreien Verständigung eine große Herausforderung dar.
Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Dissertation beruht auf dem Determinationspotential dieses Faktors "Kultur" in Bezug auf nonverbale Verhaltensmerkmale. Der hier gewählte Gegenstand - interpersonale Raumverhaltensphänomene und -präferenzen in vornehmlich dyadischen Interaktionskonstellationen - ist bisher, trotz seiner Bedeutung, innerhalb des deutschen Kulturraumes nur unzureichend analysiert worden. In diesem Bereich ist, auch im Hinblick auf den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht und dessen Ziel der Integration sowohl verbaler als auch para- und nonverbaler Aspekte, ein erhebliches Forschungsdefizit zu verzeichnen.
Zu Beginn werden neben allgemeinen Begriffsbestimmungen und -erläuterungen der hier verwendeten Terminologie sogenannte kulturelle Interaktionskompetenzen und deren Bedeutung für den Fremdsprachenunterricht detailliert herausgestellt, um im Anschluss innerhalb des Forschungsberichtes einen grundlegenden Überblick über einen Teilbereich - das nonverbale Verhalten - im Gesamtkontext menschlicher Kommunikation zu verschaffen und darauf aufbauend den aktuellen Forschungsstand interpersonalen Raumverhaltens explizit auf unterschiedlichen Ebenen zu veranschaulichen.
Dieser erste Hauptteil der Arbeit erfüllt zwei grundlegende Funktionen: Der Forschungsbericht kann als eine Art "Nachschlagewerk" im Rahmen der fokussierten Sensibilisierungsprozesse des Lehrenden genutzt werden, denn er schafft eine Transparenz räumlichen Verhaltens und dessen Komponenten in einem ganzheitlichen Kontext und beinhaltet somit ein notwendiges Hintergrundwissen. Zudem dienen die Inhalte der einzelnen Kapitel als strukturelle Basis, die eine systematische Konzeption der im Anschluss durchgeführten empirischen Untersuchung erst ermöglicht.
Anschließend werden einige wesentliche Überlegungen zur Gegenstandsbestimmung, zur Methodologie und zu den Verfahrensweisen der Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung vorgenommen, welche im Rahmen der Studie ihre Konkretisierung und praktische Anwendung finden.
Diese Untersuchung wurde auf der Grundlage des bisherigen Erkenntnisstandes bezüglich kultureller Differenzen im Bereich des interpersonalen Raumverhaltens durchgeführt, um die deutsche Kultur als einen Wirkungsbereich zu untersuchen, der aufgrund der generell in der Vergangenheit vorherrschenden Konzentration auf den US-amerikanischen Kulturraum nahezu gänzlich vernachlässigt wurde. In dieser mehrmethodisch angelegten Fallanalyse wurden reaktive Verhaltensmuster einer Experimentalgruppe aus neun Native-Speakern - deutschen Muttersprachlern - mit denen einer Vergleichsgruppe aus vierzehn Non-Native-Speakern unterschiedlicher kultureller Herkunft auf eine, von einer weiblichen Konföderierten initiierte, geringe interpersonale Distanz innerhalb dyadischer, deutschsprachiger Interaktionssituationen verglichen. Die mittels einer "unobtrusive observation" erhobenen Daten wurden zudem durch Vor- und Nachinterviews der Probanden in Form einer sowohl offenen als auch geschlossenen Befragung ergänzt, so dass der Komplexität interaktionalen Verhaltens und der kontextuellen Faktorenvielzahl gerecht werden konnte. Diese methodologisch-methodische Vorgehensweise erwies sich als weitgehend objektiv und reliabel und führte zu einer Bestätigung der Prüfungshypothese, dass es gewisse interpersonale Raumverhaltensphänomene und -präferenzen gibt, die bei einer Interaktionskonstellation aus zwei sich unbekannten Native-Speakern auf eine Sozialisation der beteiligten Personen innerhalb des deutschen Kulturraumes schließen lassen.
Neben der Vermutung kulturell bedingter Konzeptualisierungen des Prinzips der "immediacy" stellen die hier gewonnen Ergebnisse die von E.T. Hall [1966] propagierte Dichotomisierung von Kontakt- und Distanzkulturen in Frage und bieten zugleich im Hinblick auf eine zukünftige, weiterführende Forschung durch die Integration zahlreicher, sich potentiell determinativ auswirkender Faktoren erweiterte Möglichkeiten zur detaillierten Hypothesengenerierung.
In Anbetracht der sich seit einigen Jahrzehnten vollziehenden Globalisierung und der damit einhergehenden Steigerung der Mobilität sind interkulturelle Begegnungen mittlerweile zur Alltäglichkeit geworden. Eine Sensibilisierung scheint für, durch kulturelle Prägung festgelegte, differente Verhaltensmuster unumgänglich zu sein, um ein verständnisvolles, konfliktfreies Miteinander überhaupt gewährleisten zu können. Der Fremdsprachenunterricht kann hier eine entscheidende Funktion übernehmen, indem im Hinblick auf den Erwerb einer interaktionalen Kompetenz dieser Forderung nachgekommen wird; denn es gilt, die nonverbalen Aspekte menschlicher Interaktion als ebenso kommunikativ wertvoll zu betrachten.