In der vorliegenden Dissertation wird untersucht, inwiefern sich soziale Ungleichheit in der akutkardiologischen Versorgung bezogen auf die Anwendung diagnostischer und therapeutischer Herzkatheter auswirkt. Die Brisanz des Themas für den Public-Health-Bereich ergibt sich aus der großen gesundheitspolitischen und gesellschaftlichen Bedeutung der Herzkrankheiten. Diese wird durch die Prävalenz, die erhöhte Mortalität und Folgeerkrankungen erzeugt. Betroffene erleben eine besondere Belastung, die von einer erhöhten Inanspruchnahme von Leistungen und Kosten im Gesundheitswesen begleitet wird. Bisherige Erfolge beziehen sich u.a. auf die medizinischen Fortschritte im Bereich der Diagnostik und Therapie. Damit ging eine immense Leistungssteigerung auf diesem Gebiet einher, die nun z.B. durch den Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen kritisiert wurde. Über die Leistungsmengen wird relativ viel gesprochen, wenig weiß man jedoch über die Personen, die diese Leistungen erhalten. Welche sozialen Merkmale kennzeichnen sie? Zeigt sich soziale Ungleichheit bzw. haben soziale Merkmale einen Einfluss auf die Anwendung von Diagnostik und Therapie in der Akutkardiologie?
Die Daten der in der Universität Bielefeld durchgeführten Studie zur "Analyse von Zusammenhängen zwischen sozialen Patientenmerkmalen und Leistungszahlen in der Kardiologie" ermöglichen einen Einblick in das Versorgungsgeschehen in der Akutkardiologie. Durchgeführt wurde die quantitative Querschnittsstudie in Allgemeinkrankenhäusern, Fachkliniken, kardiologischen Praxen, Rehabilitations- und Universitätskliniken. Per Fragebogen wurden deutschlandweit Daten zu soziodemographischen und medizinischen Merkmalen der Patientinnen und Patienten der genannten akutkardiologischen Einrichtungen erhoben.
In dieser Studienpopulation zeigte sich für einige soziale Merkmale ein Einfluss im Bereich der akutkardiologischen Versorgung. Die horizontalen Merkmale Alter und Geschlecht traten dabei besonders hervor. Bezüglich der Variable Geschlecht ergaben sich die meisten Unterschiede: Hier konnte beispielsweise gezeigt werden, dass sich Frauen und Männer sowohl bei einigen Symptomen als auch in der diagnostischen Indikation unterscheiden. Die soziale Schicht als vertikales Merkmal der sozialen Ungleichheit zeigte sich ohne Einfluss auf die Anwendung diagnostischer oder therapeutischer Verfahren. Ein interessantes Ergebnis ergab sich für die Krankenversicherung. Hier zeigten sich Unterschiede bei der diagnostischen Indikation: Patient(inn)en in der gesetzlichen Krankenversicherung erhielten häufiger eine Koronarangiographie aufgrund einer Ausschlussdiagnostik als Patient(inn)en in der privaten Versicherung. Darin könnte ein Hinweis auf die vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen festgestellte Überversorgung bei koronarinterventionellen Verfahren gesehen werden.