Die initiale Strukturanalyse zählt zu den meistdiskutierten Themen im Bereich der menschlichen Satzverarbeitung. Aufgrund der situierten Satzverarbeitung geht man zwar davon aus, dass der Rezipient den Strukturaufbau anhand eines Teils der verfügbaren Informationen möglichst schnell durchführt. Dennoch wird nach wie vor darüber debattiert, welche Einzelinformationen dabei relevant bzw. irrelevant sind. Je nachdem, welche Arbeitsweise und Architektur dem jeweiligen Satzverstehensmodell zugrunde liegt, werden Informationen auf lexikalischer Ebene bis hin zu solchen auf pragmatischer Ebene für die Phase der Strukturanalyse in Betracht gezogen.
Das wesentliche Ziel der vorliegenden Arbeit liegt darin, den notwendigen Anforderungen an ein Modell für die Satzverarbeitung gerecht zu werden, das schließlich mit einzelsprachlichen Besonderheiten zurechtkommen kann. Zu diesem Zweck befasst sich die Dissertation zum einen mit den wichtigsten Gesichtspunkten der Satzverarbeitung, bezüglich derer die gängigen Modelle derzeit weit auseinandergehen. Zum anderen wird auf der Grundlage der empirischen Untersuchungen die Möglichkeit erwogen, außersyntaktische Faktoren in den Prozess der initialen Strukturanalyse zu integrieren.
Die Dissertation gliedert sich grob in drei Teile. Im ersten Teil werden zunächst die grundlegenden Bedingungen für die menschliche Satzverarbeitung dargelegt. Hierzu wird vor allem die Rolle des Arbeitsgedächtnisses in der initialen Strukturanalyse in Betracht gezogen, und es werden drei zentrale Auffassungen für die Modularität skizziert. Dabei wird die Frage behandelt, welche Konsequenzen die Situiertheit für die inkrementelle Verarbeitung und die Analysemethoden hat. Im Anschluss werden die möglichen Auflösungsstrategien ambiger Strukturen vorgestellt, wobei die wichtigsten Modelle für die einzelne Vorgehensweise und deren empirische Befunde miteinander verglichen werden. Danach folgt eine Diskussion darüber, welche Informationsquellen für die initiale Strukturanalyse benötigt werden. Hier werden vor allem hypothetische Verarbeitungsprinzipien, lexikalische Informationen, Verwendungshäufigkeit und Kontext sowie das Weltwissen behandelt.
Im zweiten Teil geht es zum einen um die universelle Satzverarbeitung, und zwar insbesondere um die Frage, ob das Verhältnis zwischen der Universalgrammatik und der menschlichen Satzverarbeitung transparent sein kann. Hierfür wird anhand von Beispielen aus dem Deutschen und dem Koreanischen als kopffinalen Sprachen diskutiert. Dabei werden die beiden Sprachen bezüglich ihrer syntaktischen Eigenschaften miteinander vergleichen und mögliche Konsequenzen für die Strukturanalyse auf der Basis der bislang berichteten empirischen Befunde besprochen. Zum anderen behandelt der zweite Teil Kontextinformation als Einflussgröße für die Strukturanalyse. Dabei wird der Versuch unternommen, den Satz als Einheit des Textes zu definieren. So werden die grundlegenden Prinzipien für die Textrezeption dargelegt und die Satzverarbeitung in Verbindung mit der Kohärenzbildung gebracht. Dabei werden relevante Ansätze vorgestellt, die jeweils unter dem Aspekt der Textgrammatik, der Semantik sowie der Pragmatik an die Kohärenzprozesse herangehen. Schließlich wird noch auf die Frage eingegangen, inwiefern semantische sowie pragmatische Information zur initialen Strukturanalyse beitragen können.
Der dritte Teil berichtet über zwei empirische Untersuchungen, in denen es um die Strukturanalyse im Koreanischen geht. In den beiden Experimenten habe ich untersucht, wie die Versuchsteilnehmer mit einer ambigen Satzstruktur umgehen, die im Koreanischen typischerweise durch eine Satzeinbettung verursacht wird. Um den Einfluss des kontextuellen Faktors auf die Ambiguitätsauflösung beobachten zu können, habe ich den Versuchsteilnehmer die kritischen Sätze im Kontext eines kurzen Textes dargeboten. Als kritische Faktoren wurden im ersten Experiment die ambige Satzeinbettung, der Subjekt- sowie Topikmarker und das Fokuselement herangezogen und im zweiten Experiment die Form des Subjekts, die ambige Satzeinbettung und die Kontextinformation. Im Anschluss an den Bericht über die Untersuchungsergebnisse wird über Konsequenzen für die menschliche Satzverarbeitung diskutiert. Dabei wird die Vorhersagekraft der derzeit miteinander konkurrierenden Modelle evaluiert. Schließlich werden allgemeine Schlussfolgerungen gezogen und konkrete Fragen für zukünftige Studien zur Satzverarbeitung gestellt, die beim heutigen Stand der Forschung noch offen geblieben sind.