Gegenstand dieser konversationsanalytischen Untersuchung ist das Phänomen von Kompetenz und Kompetenzunterschieden in der Interaktion, sowohl hinsichtlich der Kommunikationssprache als auch in Bezug auf ganz unterschiedliche Sachgebiete. Entsprechend der konversationsanalytischen Prämisse der "Herstellung sozialer Wirklichkeit" setzt die Untersuchung mit der Frage an, wie Gesprächsteilnehmer die Situation überhaupt als eine hervorbringen, in der Kompetenzen unterschiedlich verteilt sind, wie sie unterschiedliche Rollen von Experten und Nichtexperten übernehmen bzw. zuweisen und wie sie sich in ihrem Handeln auf diese von ihnen hervorgebrachte Situation beziehen. "Rolle" wird also nicht als etwas verstanden, was die Teilnehmer als "festen Bestandteil" ihrer Person in die Interaktion "mitbringen", sondern als konsistentes Gesprächsverhalten oder eine "sinnhafte Verhaltenseinheit" (Joas) in Bezug auf einen bestimmten Situationsaspekt. Mit diesem Thema wird ein Aspekt globaler Interaktionsstrukturen in den Blick genommen. Das Interesse gilt dabei besonders der Verbindung von "Mikro"- und "Makro"-Ebene - dem reflexiven Verhältnis zwischen den jeweils lokalen Aktivitäten und der durch diese hergestellten Definition der Situation.
Den Einstieg in das Thema bildet die exemplarische Analyse eines halbexperimentellen Gesprächs mit verschiedenen sprachlichen und thematischen Phasen, in der grundlegende Begriffe und Aspekte interaktiver Kompetenzdarstellung (Rolle vs. Position, unterschiedliche Arten der Ausagierung von Rollen, primäre und sekundäre Interaktionsrelevanz) und Zusammenhänge zu anderen Aspekten des Gesprächs (interaktive Aufgaben, thematische Strukturierung) sowie zur rituellen Ebene (Goffman) herausgearbeitet werden. Auf der Basis dieser Ergebnisse werden in einem weiteren Schritt Gesprächsaufnahmen aus unterschiedlichen alltäglichen und institutionellen Interaktionssituationen analysiert, um die Untersuchungen zu Sprachexpertise einerseits und Sachexpertise andererseits zu vertiefen. Jeweils anschließend wird die interaktive Gestaltung den "externen" Faktoren der Situation gegenüber gestellt, um Zusammenhänge zwischen diesen beiden Ebenen zu erforschen und im Spannungsfeld zwischen den beiden konversationsanalytischen Annahmen, dass einerseits die Gesellschaftsmitglieder in ihrem Handeln nicht jedes Mal die Welt neu erfinden, andererseits konkrete Interaktion nicht von ihren äußeren Bedingungen determiniert ist, die Bedeutung externer Faktoren für die interaktive Herstellung der Situation positiv zu bestimmen.
Die Analysen belegen, dass die konkrete Interaktion durch objektive oder externe Faktoren nicht determiniert wird. Diese bilden aber die Leitlinien für die Interaktionsorganisation: Die Teilnehmer nutzen sie als Anhaltspunkte, um die Kompetenzgrundlagen der Interaktion und daraus resultierende Möglichkeiten der Interaktionsgestaltung festzustellen. Sie behandeln sie also als Ressourcen, auf die sie bei der Definition und Gestaltung der Interaktionssituation zurückgreifen können. Externe Faktoren stellen somit ein globalkonstitutives Potential für die Interaktionsgestaltung bereit. Denn vor allem in Alltagsgesprächen gibt es offensichtlich keine allgemein verbindlichen Normen für den Umgang mit Kompetenzunterschieden. Die "Definition der Situation" steht nicht von vornherein fest und bleibt im Verlauf der Interaktion konstant, sondern die Teilnehmer treten in die Interaktion mit individuellen und z.T. abweichenden Konzeptionen ein, die sie im Verlauf - meist implizit - aushandeln und schrittweise angleichen. In diesem Zusammenhang sind auch die Implikationen lokaler Aktivitäten für die Definition der generellen Interaktionssituation als situationskonstitutives Potential beschreibbar. Die Interaktanten setzen die Potentialität lokaler Gesprächsaktivitäten methodisch ein, um die verschiedenen (praktischen und rituellen) interaktiven Anforderungen zu vereinbaren und zu bearbeiten.