Im Zentrum der hier vorliegenden Dissertationsschrift steht die Analyse zentraler Veränderungen der Organisations- und Leistungserbringungsrationalitäten der Jugendhilfe. Jugendhilfe wird dabei als ein die Belange der nachwachsenden Generation fokussierender Bestandteil Sozialer Arbeit und somit als eine personen- und entwicklungsbezogene, institutionalisierte Form der politischen Regulierung und Konstitution 'des Sozialen' verstanden. Die Veränderungen der Jugendhilfe werden vor dem Hintergrund zeitgenössischer Transformationsdynamiken zweier für sie wesentlicher Felder, dem 'Feld des Sozialen' und dem 'Feld der Kontrolle', analysiert. Beide Felder, so die zentrale These, sind ähnlichen Prozessen einer - teilweise paradoxen - 'Entstaatlichung' unterworfen. Diese schlagen sich in verschiedenen Formen einer 'Ökonomisierung', in einem Einzug 'managerialistischer Logiken' in die Organisation von Institutionen sowie in einer verstärkten Verantwortungszuschreibung an individuelle wie 'kollektive Subjekte' nieder. Verbunden mit diesen Dynamiken rücken in beiden Feldern Rationalitäten in den Mittelpunkt, die sich zwar weiterhin auf die Bearbeitung von individuellen und kollektiven Risiken, Lebensführungsproblemen sowie von Problemen der Erzeugung sozialer Koproduktion, Solidarität und Vertrauen richten, sich aber zunehmend 'jenseits des Staates' vollziehen. In diesem Kontext gewinnen das 'Humankapital' einzelner Akteure und das 'soziale Kapital' territorial verorteter Gemeinschaften und damit die beiden zentralen Macht- und Steuerungsmittel sozialpädagogischer Interventionen substanziell an Bedeutung für eine neue Form der 'Governance' des Sozialen. Für die Jugendhilfe implizieren diese Verschiebungen nachhaltige Auswirkungen hinsichtlich ihrer Denk- und Handlungsstrategien, ihrer Technologien, ihrer Teleologien sowie ihres Ethos, oder kurz eine Refiguration und Verschiebung des Verhältnisses sozialer Hilfe- und Herrschaftsdimensionen der Jugendhilfe. In theoretischer Hinsicht schließt sich diese Arbeit an die heuristischen Angebote und Werkzeuge der jüngeren Traditionen der 'Studies of Governmentality', der 'École de la Régulation' und an die Arbeiten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu an.
Eine solche Perspektive ermöglicht es, diskursive Denklogiken sowie Rationalisierungs- und Programmierungsstrategien auf die Ebene der Praxis der Akteure zu beziehen und einem durch vorausgegangene materielle wie symbolische 'Kämpfe' vorstrukturierten, relationalen Beziehungsgeflecht gesellschaftlicher Positionen und sozialer Felder zuzuordnen, in denen sich symbolische und soziale Dynamiken artikulieren. Auf dieser Basis wird eine 'Geschichte der Gegenwart' gezeichnet, die die 'marxsche' Frage nach den gesellschaftlichen Verhältnissen und den Kräften ihrer Produktion und Reproduktion mit der 'weberschen' Frage nach sozialen und politischen (Herrschafts-)Rationalitäten synthetisiert.
In einem ersten Teil werden wesentliche Grundlagen im Sinne einer Rekonstruktion der materialistischen Anthropologie sozialer Herrschaft Bourdieus geklärt. Darauf basierend werden eine devianztheoretische Perspektive und eine allgemeine feld- und interventionslogische Fassung der Jugendhilfe formuliert, sowie die Frage des Stellenwerts des Präventionsdiskurses kategorial erörtert. Der zweite Teil wendet sich der Frage der Jugendhilfe im Zusammenhang mit den Entwicklungsdynamiken im Feld des Sozialen zu, während diese Frage in einem dritten Teil im Kontext der Entwicklungsdynamiken im Feld der Kriminalitätskontrolle analysiert wird.
Neben einer Bilanzierung der zeitgenössischen Veränderungsdynamiken wird in einem abschließenden vierten Teil dieser Dissertation der Versuch unternommen, die Konturen eines alternativen Verständnisses und einer alternativen Verortung der Jugendhilfe auf einer gerechtigkeitstheoretischen Basis zu entwerfen.