Im deutschen Sprachraum hat die PISA-Studie vor allem deshalb viel Aufmerksamkeit erregt, weil sie deutlich gezeigt hat, dass die Lesekompetenz der 15-jährigen deutschen Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich ausgeprägt ist und darüber hinaus eine sehr große Streuung aufweist (Artelt, Schiefele, Schneider, 2001; Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001). So wurde im Bundesländervergleich der PISA-Studie für alle deutschen Bundesländer ein großer Leistungsabstand zwischen den 5 Prozent besten und den 5 Prozent schlechtesten Schülerinnen und Schülern gefunden. Diese ernüchternden Ergebnisse waren der Auslöser für eine große Diskussion unter Experten hinsichtlich der Bildungssysteme und Schlüsselqualifikationen in den Bereichen der Lesekompetenz, der mathematischen sowie der naturwissenschaftlichen Kompetenz.
In der ersten PISA-Studie verneinten immerhin 42 Prozent der deutschen Jugendlichen die Frage, ob sie zum Vergnügen lesen würden (vgl. Artelt et al., 2001). Da die Lesekompetenz jedoch entscheidend durch die Lesemotivation, das Leseinteresse sowie das Leseverhalten beeinflusst wird, liegt die Vermutung nahe, hier die Gründe für das schlechte Abschneiden der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu sehen. Das lesebezogene Selbstkonzept, das aussagt, wie die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Fähigkeiten im Lesen einschätzen, zählt ebenfalls zu den Prädiktoren der Lesekompetenz. Aber auch das Selbstkonzept war bei den Jugendlichen aus Deutschland nur gering ausgeprägt. Da die genannten Faktoren durch pädagogisch-psychologische Interventionsmaßnahmen beeinflusst werden können, war dies der Ansatzpunkt für verschiedene Experten, nach geeigneten Trainingskonzepten zu suchen. Einige bereits existierende Programme haben sich die Förderung der Lesekompetenz zum Ziel gesetzt. Jedoch zeigte die Analyse der Lesetrainings, dass in der Vergangenheit der Aspekt der Lesemotivation oftmals außer Acht gelassen wurde. In den Trainingsmaßnahmen wird vorrangig metakognitives Wissen über erfolgreiche Lesestrategien und deren Einübung vermittelt. Außerdem werden in den Förderprogrammen die in der PISA-Studie (Artelt, Schneider & Schiefel, 2002) differenzierten Dimensionen des verstehenden Umgangs mit Texten nicht berücksichtigt, ebenso fanden keine Übungen zu metakognitivem Textformatwissen statt. Aufgrund dieser Defizite wurde bei der Konzeption eines neuen Trainings zur Förderung der Lesekompetenz und Lesemotivation (LekoLemo) für die 7. Jahrgangsstufe die Berücksichtigung der genannten Aspekte angestrebt. Da die Lesemotivation ein wichtiger Faktor des Trainings darstellt, stellen das Erwartungs-Wert-Modell der Lesemotivation von Möller und Schiefele (2004) und die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1985) die theoretischen Grundlagen für die Entwicklung des LekoLemo-Trainings dar. Möller und Schiefele (2004) postulieren in ihrem Modell, dass die Lesemotivation, die durch die Wert- und Erwartungskomponenten bedingt ist, einen Einfluss, vermittelnd über das konkrete Leseverhalten, auf die Lesekompetenz ausübt. Deci und Ryan (1985) gehen in ihrer Selbstbestimmungstheorie davon aus, dass sich - unter Berücksichtigung der drei psychologischen Grundbedürfnisse - diese Lesemotivation beeinflussen und fördern lässt.
Es wurden im Vorfeld drei Evaluationsstudien zum LekoLemo-Training durchgeführt. Das vorrangige Ziel der Studien bestand darin, das Training auf Praktikabilität und Effektivität zu überprüfen. Obwohl die Studien die Wirksamkeit des Trainings nicht bestätigen konnten, bildeten die Ergebnisse eine wichtige Grundlage zur Weiterentwicklung und Modifikation des Programms. In der vorliegenden Arbeit steht die Überprüfung der Wirksamkeit des Trainings auf die Lesekompetenz und Lesemotivation im Fokus. Die Stichprobe, die zur Evaluation untersucht wurde, setzte sich aus 331 Schülerinnen und Schülern der siebten Jahrgangsstufe aus mehreren Realschulen, einer Gesamt- und einer Hauptschule zusammen. Es zeigte sich, dass das Training einen signifikanten Effekt auf das lesebezogene Selbstkonzept sowie auf die gegenstands- und erlebnisbezogene Lesemotivation hatte. Durch die angeschlossenen explorativen Analysen konnte für eine Substichprobe auch ein signifikanter Einfluss auf die Lesekompetenz nachgewiesen werden.