Die Schülerin, die in einer Kneipe Gäste bedient oder im Einzelhandel Kleidung verkauft; der Schüler, der an der Kasse im Supermarkt sitzt oder als Fahrradkurier unterwegs ist - sie sind das 'Personal' inzwischen irgendwie vertrauter Alltagsszenen. Erwerbstätige Jugendliche sind längst zu einem nicht mehr zu übersehenden Bestandteil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit geworden. Gemäß der vorliegenden Studie sind insgesamt drei Viertel der befragten Oberstufen-SchülerInnen erwerbstätig, und das mit durchschnittlich fast dreizehn Stunden pro Woche. Diese Jugendlichen sind in der Woche genauso wie am Wochenende erwerbstätig, zu Schul- wie zu Ferienzeiten. Der klassische Ferienjob existiert zwar noch, hat aber in seiner Funktion des SchülerInnenjobs par excellence weitgehend ausgedient.
Und hat das Jobben erstmal Eingang in die Alltagspraxis von SchülerInnen gefunden, ist es aus dieser kaum noch wegzudenken. Dabei ist das Erleben des Jobbens wesentlich davon geprägt, wie es motiviert ist: Dient die Erwerbstätigkeit in erster Linie der Finanzierung des Lebensunterhalts, lässt die Ernsthaftigkeit des Ganzen den Spaß an der Beschäftigung eher in den Hintergrund treten. Dient sie aber vorrangig dem erweiterten Lifestyle-Konsum, steht auch mehr der Erlebnischarakter des Jobbens im Vordergrund.
Angesichts der hohen Erwerbsquote und (zeitlichen) Erwerbsintensität, die deutlich über den bislang kursierenden Zahlen zur Erwerbstätigkeit von SchülerInnen liegen, kann man nicht anders, als von einer großen - zumindest außerschulischen - Leistungsbereitschaft bei den Jugendlichen zu sprechen. Doch wie wirkt sich die (fast) fraglose Selbstverständlichkeit, mit der die befragten Oberstufen-SchülerInnen jobben, nun auf das schulische Lernen aus? Vorausgeschickt sei hier, dass die unterrichtsbezogene Leistungs- und Lernbereitschaft von SchülerInnen, seien sie nun erwerbstätig oder nicht, grundlegend von dem Maß erlebter und erfahrener Sinnhaftigkeit im schulischen Lernen abhängt. Können die SchülerInnen die Frage nach dem "Warum" der schulischen Ausbildung für sich positiv beantworten, schaffen sie sich damit eigenständig ihre Motivationsgrundlage für schulisches Engagement, also letztlich die Basis für das "Wie" des schulischen Lernens. Diese "eigenproduzierte" biografische Sinnhaftigkeit schulischen Lernens wird in dem alltagspraktischen Stellenwert, den die SchülerInnen der schulischen Ausbildung beimessen, reflektiert. Die zeitliche und inhaltliche Intensität des schulischen Engagements wird durch aktive Formen der Lebensführung begünstigt, durch passive beeinträchtigt. Wer sich als ziel- und leistungsorientiert, als offen und flexibel oder als konzentriert und projektbezogen handelnd, beschreibt, bedient sich vorzugsweise eines Lernhabitus', der auf Kontinuität und Beflissenheit in der Lernpraxis baut. Wer sich selbst als abwartend und beobachtend oder als träge und lustlos einordnet, neigt mehr zu einem Lernhabitus, der von sporadischen, taktischen, selektiven Lernpraktiken durchzogen ist.
Die Doppelorientierung auf Erwerbstätigkeit und schulische Ausbildung verlangt von den erwerbstätigen SchülerInnen einen alltäglichen Spagat zwischen kognitiven Handlungsorientierungen und praktizierten Handlungsmustern, zwischen prinzipieller Vorrangigkeit und situativer Nachrangigkeit schulischer Belange, zwischen kontinuierlichem und sporadischem schulischen Engagement. Dabei nimmt die Mehrheit der erwerbstätigen SchülerInnen das Nebeneinander von Jobben und Lernen weitgehend positiv wahr. Allein eine relative Minderheit unter ihnen erfährt die negativen Effekte der Doppelbelastung: Zeitmangel für andere Aktivitäten, Stress, Entfremdung von Unterrichtsinhalten, schlechtere Schulleistungen und Konzentrationsschwierigkeiten. Diese (auch von PädagogInnen) beobachteten und unerwünschten Begleiterscheinungen des Jobbens verstärken sich allerdings untereinander und potenzieren sich so zu einem "öffentlichen" Erscheinungsbild gestresster, übermüdeter, leistungsschwacher, unmotivierter, lustloser SchülerInnen, die aufgrund ihrer Erwerbsaktivitäten Schule zur Nebensache werden lassen.
In der Bilanz jedoch lassen sich die erwerbstätigen SchülerInnen gemäß ihrer Selbsteinschätzung als gleichermaßen gegenwarts- wie zukunftsorientiert beschreiben, sowohl konsum- und freizeitorientiert als auch schulisch, beruflich und biografisch auf Qualifikation bedacht. Sie verbinden das Leben im Hier und Jetzt, das sich über Bedürfnisbefriedigung und Wohlbefinden in der Freizeit definiert, mit zukunftsbezogenen Investitionen, die auf Leistung und Engagement im "Arbeitskontext" Schule und Job gründen. Die Dualität von Jobben hier und Lernen dort ist somit zum zentralen Kennzeichen jugendlicher Lebens- und Lernrealität geworden.