Heparinkofaktor II (HCII) gehört zu einer Gruppe von Proteinen, welche als Serpine (Serin-Protease-Inhibitoren) bezeichnet werden. Seine biologische Funktion besteht in der Hemmung der Serinprotease Thrombin, einem Schlüsselenzym u.a. der Blutgerinnung unter Bildung von SDS-stabilen Komplexen im Verhältnis 1:1. In der Abwesenheit von Glykosaminoglykanen (GAGs) ist HCII ein ineffektiver Inhibitor von Thrombin. Die Reaktionsgeschwindigkeit zwischen HCII und Thrombin wird durch GAGs wie Heparin und Dermatansulfat über 1000-fach beschleunigt.
Die Aktivierung von HCII durch GAGs erfolgt vermutlich durch einen allosterischen Mechanismus. Der Modellvorstellung nach reagiert HCII in der Abwesenheit von GAGs nur über sein, für einen Inhibitor von Thrombin eher ungeeignetes, reaktives Zentrum mit Thrombin. Die Hemmung von Thrombin erfolgt dabei nur mit geringer Reaktionsgeschwindigkeit. Die überwiegend aus basischen Aminosäuren bestehende GAG-Bindestelle des HCII ist in Abwesenheit von GAGs über intramolekulare Salzbrücken und andere Wechselwirkungen mit dem N-Terminus verbunden, welcher Gruppen von sauren Aminosäuren enthält.
Bei der Aktivierung von HCII binden die polyanionischen GAGs an die GAG-Bindestelle von HCII und verdrängen den sauren N-Terminus aus den intramolekularen Wechselwirkungen. Der so freigesetzte N-Terminus kann mit einer basischen Oberflächenstruktur von Thrombin, genannt Exosite I, interagieren. HCII steht dann sowohl über sein reaktives Zentrum als auch über den sauren N-Terminus mit Thrombin in Kontakt, was zu der deutlichen Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit führt.
Der postulierte Aktivierungsmechanismus wird durch indirekte Ergebnisse unterstützt. Mehrere Veröffentlichungen beschreiben überwiegend Mutationen oder Deletionen von Elementen im HCII oder Thrombin, welche für den postulierten Aktivierungsmechanismus von Relevanz sind, und die aus diesen Mutationen resultierenden Folgen.
Die hier dargestellte Arbeit untersucht, welche Funktion(en) der saure N-Terminus von HCII bei der Inhibierung von Thrombin in der Gegenwart von Heparin oder Dermatansulfat hat. Von besonderem Interesse ist dabei der Aspekt der postulierten Positionsänderung gegenüber dem Kern des Moleküls und die Funktion dieser Positionsänderung.
Mittels molekularbiologischer Methoden wurden zwei neue Cysteinreste in das HCII-Molekül eingebaut, welche eine intramolekulare Disulfidbrücke ausbildeten und dadurch den sauren N-Terminus von HCII kovalent mit dem Kern des Moleküls verknüpften. Um sicherzustellen, dass sich nur eine Disulfidbrücke zwischen den zwei neu in das Molekül eingeführten Cysteinresten bilden konnte, wurden die drei natürlich im HCII vorkommenden Cysteine, welche nicht essentiell für die Reaktion zwischen HCII und Thrombin sind, gegen Serine ausgetauscht.
Bei geschlossener Disulfidbrücke konnte nur eine minimale Reaktion mit Thrombin beobachtet werden, die jedoch nicht sicher den HCII-Molekülen mit geschlossener Disulfidbrücke zugeordnet werden konnte. Heparin oder Dermatansulfat bewirkten unter diesen Bedingungen keine messbare Beschleunigung der Reaktion. Nach Reduktion der Disulfidbrücke und Alkylierung der Cysteinreste ließ sich die untersuchte HCII-Variante wieder durch Heparin und Dermatansulfat aktivieren und inhibierte Thrombin mit sehr viel höherer Reaktionsrate.
Die erhaltenen Daten stützen die These, dass der N-Terminus eine kritische Rolle für den aktivierenden Effekt von Heparin bzw. Dermatansulfat auf die Reaktion mit Thrombin hat, und zeigen, dass eine kovalente Fixierung diesen Effekt unterbindet. Die Ergebnisse sind in Übereinstimmung mit dem Modell, nach dem der N-Terminus nach Aktivierung des Moleküls durch GAGs eine Positionsänderung gegenüber dem Kern des Moleküls durchläuft. Möglicherweise wird bei der Aktivierung von HCII über eine Konformationsänderung auch ein Einfluss auf das reaktive Zentrum ausgeübt.