Glykosphingolipide (GSL) spielen eine Schlüsselrolle in vielen biologischen Prozessen, einschließlich der Tumorgenese. Die GSL-Analytik erfährt dank moderner, massenspektrometrischer Methoden einen rasanten Fortschritt. In der vorliegenden Arbeit wurde eine neue Technik zur strukturellen Charakterisierung von GSL entwickelt, die auf der direkten Kopplung der IR-MALDI-o-TOF-MS und des DC-Overlay-Assays beruht. Hierbei werden drei komplementäre Methoden miteinander kombiniert: 1) die Trennung der GSL mittels DC, 2) ihre Detektion mit Oligosaccharid-spezifischen Proteinen und 3) die in situ MS von Protein-detektierten GSL. Die hohe Spezifität und Sensitivität der DC-IR-MALDI-o-TOF-MS konnten anhand verschiedener Detektionssysteme demonstriert werden. Es ließen sich sowohl GSL, die mit poly- und monoklonalen Antikörpern auf der DC-Platte detektiert wurden, als auch GSL, die mit verschiedenen Toxinen nachgewiesen wurden, massenspektrometrisch charakterisieren. Die Methode ermöglicht die Messung von GSL direkt auf der DC-Platte bis in den unteren Nanogrammbereich. Im besten Fall lag das Detektionslimit bei 0,6 ng. Zudem konnte gezeigt werden, dass für die DC-IR-MALDI-o-TOF-MS lediglich geringe Mengen an GSL aus Geweberohextrakten erforderlich sind und somit arbeitsintensive Aufreinigungsverfahren, die mit einem Materialverlust einhergehen, entfallen. Die Technik lässt sich erfolgreich zur Identifikation von tumorassoziierten GSL aus allen bisher untersuchten humanen Karzinomen einsetzen. Somit eröffnet die in situ DC-IR-MALDI-o-TOF-MS immundetektierter GSL neue Möglichkeiten zur spezifischen Charakterisierung von Nanogrammmengen an GSL aus sehr kleinen Gewebeproben im Milligrammbereich ohne aufwendige GSL-Isolierungsverfahren.
Nach Etablierung dieser Technik wurden GSL-Expressionsanalysen in humanen Pankreas- und Kolonkarzinomgeweben durchgeführt. Mittels DC-Immundetektion konnte gezeigt werden, dass es sich im Falle der [alpha]2-6-sialylierten CD75s-1-Ganglioside sowie der isomeren [alpha]2-3-sialylierten iso-CD75s-1-Ganglioside in Pankreaskarzinomgeweben um tumorassoziierte Strukturen handelt. Im Vergleich zu gesundem Pankreasgewebe zeigten 42,1 Prozent der Pankreaskarzinome eine Überexpression an CD75s-1-Gangliosiden und 65,8 Prozent einen erhöhten Gehalt an iso-CD75s-1-Gangliosiden. Neben diesen beiden Gangliosiden konnte auch das neutrale GSL Gb3Cer/CD77 als tumorassoziiertes Molekül identifiziert werden. Insgesamt wurde in 61,9 Prozent der Pankreastumoren und in 81,3 Prozent der Kolonkarzinome eine erhöhte Gb3Cer/CD77-Expression im Vergleich zu gesundem Kontrollgewebe nachgewiesen. In allen Fällen konnten die Daten der DC-Overlay-Assays mittels fluoreszenzmikroskopischer und massenspektrometrischer Analysen bestätigt werden. Sowohl bei den CD75s-1-Gangliosiden als auch bei Gb3Cer/CD77 könnte es sich um potentielle Marker für eine ungünstige Prognose bei einer Erkrankung an Pankreaskrebs handeln, da ihre Expression mit einem schlecht- beziehungsweise undifferenzierten histomorphologischen Phänotyp korreliert.
CD75s-1-Ganglioside und das neutrale GSL Gb3Cer/CD77 sind von besonderem Interesse, da es sich bei ihnen um die Rezeptoren der Ribosomen-inaktivierenden Proteine ML-I/rViscumin beziehungsweise Stx1 handelt, deren zyotoxische Effekte auf Tumorzellen in vitro und in vivo bereits von verschiedenen Arbeitsgruppen nachgewiesen werden konnten. Die Verträglichkeit von rViscumin wurde unlängst in klinischen Phase-I-Studien an Patienten erfolgreich getestet.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die tumorassoziierten CD75s-1- und iso-CD75s-1-Ganglioside sowie Gb3Cer/CD77 vielversprechende, hocheffiziente Targetstrukturen für potentielle Adjuvanztherapien zur Behandlung von Pankreas- und, im Falle von Gb3Cer/CD77, auch für Kolonkarzinome darstellen. Die Ergebnisse der Expressionsanalysen verdeutlichen aber auch, dass eine Behandlung mit ML-I/rViscumin oder Stx1 nicht für alle Patienten gleichermaßen in Frage kommt, da nicht alle Tumoren eine erhöhte CD75s-1-Gangliosid- beziehungsweise Gb3Cer/CD77-Expression gegenüber gesundem Gewebe aufwiesen. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit, Therapiekonzepte in Zukunft individuell auf den Patienten zuzuschneiden, um somit möglichst effektiv und nachhaltig Pankreas- und Kolonkarzinome mit GSL-basierten Konzepten therapieren zu können.