In dieser Untersuchung geht es um die Entwicklung und die Abweichungen des emigrierten Türkischen in der Diasporasituation von dem heimatlichen Türkeitürkischen. Die neu entstehende Diasporavarietät wird überwiegend von der zweiten Generation (G2) und mittlerweile von der dritten Generation (G3) türkischer Herkunft in Deutschland getragen. Im Prinzip stehen der G2 und G3 mehrere Sprachen bzw. Sprachvarietäten zur Verfügung. Erfahrungsgemäß entstehen mit der Emigration die Voraussetzungen für eine andere Sprachentwicklung.
Für die Untersuchung übersetzten 40 Probanden Abschnitte einer Erzählung ins Türkische. Die Übersetzungen wurden im Hinblick auf die Verwendung der Flexionsendungen der türkischen Tempus- und Modusmarkierungen deskriptiv analysiert. Die Daten für die vorliegende Untersuchung, die computergestützt ausgewertet worden sind, wurden zwischen dem Sommersemester 1997 und dem Wintersemester 1998/99 bei vier verschiedenen Gruppen erhoben, die unabhängig voneinander am Türkischunterricht teilnahmen.
Vor dem Hintergrund der Sprachkontaktsituation werden die Veränderungen und Abweichungen des Türkeitürkischen in der Diasporasituation von dem Standardtürkischen in ihrer synchronen Entwicklung betrachtet: Wenn eine Sprachvarietät der Sprachstruktur - das heißt der Sprachstruktur der Zielsprache - typisch für die Diasporasituation ist und sukzessiv die strukturelle Parallelität mit der genetisch nicht verwandten Sprache zuzunehmen beginnt, ist es mehr als wahrscheinlich, dass der Sprachkontakt bei der Veränderung dieser Sprache eine Rolle gespielt hat. Auch bei auffälligen Spracherhaltungserscheinungen, die sich von der sonstigen Sprachentwicklung absetzen, muss die Kontaktbedingtheit ins Kalkül gezogen werden, wenn es sich um eine sukzessive Kongruenz mit der Zielsprache handelt.
Die Analyse der vorliegenden Untersuchung konzentriert sich vorwiegend auf die morphologischen Abweichungen der Flexionsendungen des Türkeitürkischen in der Diasporasituation von dem Standardtürkischen. Es wird dabei eine strukturelle Affinität zwischen den in der Ausgangssprache festgestellten Abweichungen von der Standardsprache und der Zielsprache - Deutsch - exemplifiziert.