Die Dissertation bearbeitet die Frage, inwieweit die Annahme berechtigt ist, die Didaktik der Waldorfpädagogik als eine phänomenologisch generierte zu bezeichnen.
Für die Beurteilung und Bewertung einer Pädagogik und insbesondere ihrer Didaktik des allgemein bildenden Unterrichts in der Schule sind unter anderem die Begründungszusammenhänge, die das jeweilige didaktische Gebäude fundamentieren, von Interesse. Daher ist auch die Methode, mit der zur Erstellung einer Didaktik auf den heranwachsenden Menschen und den jeweiligen Unterrichtsgegenstand geblickt wird, von großer Bedeutung.
Die Analyse geht davon aus, was unter Phänomenologie zu verstehen ist, um in der Folge deren Wirkung auf die Pädagogik bzw. insbesondere die Ausbildung von Didaktiken zu untersuchen.
Eine der Grundanliegen der Phänomenologie Edmund Husserls u.a. ist es, die Dinge der Welt zu allererst theoriefrei so wahrzunehmen, wie sie dem Bewusstsein erscheinen. Im Anschluss daran bildete sich u.a. die «Phänomenologische Pädagogik» aus. Es bildete sich im letzten Drittel des letzten Jahrhunderts ein Zweig der akademischen Musikpädagogik heraus, der sich auf die «Phänomenologische Pädagogik» beruft und philosophisch auch an Waldenfels anschließt. Hier ist der Blick hauptsächlich auf die «Lebenswelt» und «das Fremde» der zu Unterrichtenden gerichtet. Diese Entwicklung hängt eng zusammen mit der Krise der Musikpädagogik an den allgemeinbildenden Schulen ab den 70er Jahren. Von den Vertretern dieser musikpädagogischen Richtung wurden allerdings keine umfassenden didaktischen Konzepte vorgelegt. Weder in der «Phänomenologischen Pädagogik» noch in deren musikpädagogischen Zweig findet sich ein Ansatzpunkt, die Waldorfpädagogik und deren Musikdidaktik phänomenologisch zu begründen. Wenn die oben genannte Annahme dennoch berechtigt ist, muss dieser Pädagogik eine andere phänomenologische Methode zugrunde liegen. Die Grundlage davon ist in der phänomenologischen Methode der Naturbetrachtung Goethes zu sehen, die daher ausführlich dargestellt wird. An diese Methode knüpfte nach eigenen Aussagen der zuerst als Goethe-Forscher tätige Rudolf Steiner an und entwickelte daran anschließend seine Anthroposophie. Dazu verwandte er eine Methode, die seiner Ansicht nach direkt an Goethes Erkenntnisweise anschließt und zur Erkenntnis von Geistigem führt. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Analyse auch diese Methode dargestellt und es wird versucht, den inneren Zusammenhang zwischen Goethes und Steiners Methode epistemologisch zu erschließen und die Beziehungen und Unterschiede zur Methode Husserls aufzuzeigen. Dies ist eine notwendige Grundlage der Untersuchung der Waldorf-Musikdidaktik, denn aus der Anthroposophie heraus erwuchs zu Beginn des 20. Jhdts. der Impuls zu der so genannten Waldorfpädagogik. Rudolf Steiner überlegte einst, als er nach einem Namen für diese erste Waldorfschule gefragt wurde, sie «Goetheanismus-Schule» zu nennen, so eng sah er diese Pädagogik mit der Erkenntnisart Goethes verbunden. Er selbst wies zwar immer wieder auch auf den inneren Bezug seiner Anthroposophie zu der Goetheschen Forschungsart hin, es findet sich aber bisher keine Darstellung, die das Verhältnis der Didaktik der auf der anthroposophischen Menschenkunde gründenden Waldorfpädagogik zu Goethes Forschungsart explizit herausstellt und sie damit als phänomenologisch begründet und entwickelt ausweist.
In dieser Arbeit wurde der methodische Zusammenhang der Goetheschen Phänomenologie mit der anthroposophischen Erkenntnismethode - im Hinblick auf die über allem stehende pädagogische Fragestellung - expliziert und eine Betrachtung der Zusammenhänge der Methoden (auch der Husserlschen Phänomenologie) untereinander versucht. Nach dem Methodenvergleich widmet sich die Analyse der anthroposophischen Anthropologie als Grundlage des didaktischen Ansatzes von Rudolf Steiner. Diese werden dann am Beispiel der Musik näher ausgeführt, sowie das Verhältnis zwischen dieser Sicht menschlicher Entwicklung und der goetheanistisch-phänomenologischen Betrachtung einiger musikalischer Elemente untersucht.
Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass die Didaktik der Waldorfpädagogik unter bestimmten Limitierungen und Bedingungen durchaus als phänomenologisch generiert angesehen werden darf.