Die Wissenschaftsforschung operiert in ihrer sozialwissenschaftlichen Ausrichtung vermehrt mit dem Begriff "Kultur". Im US-amerikanischen Raum hat sich gar die eigenständige Disziplin Wissenschaftsanthropologie etabliert. Die vorliegende Arbeit widmet sich diesem Phänomen, indem sie zunächst exemplarisch einen kritischen Überblick über die Historie der Implementierung des Kulturbegriffs in Wissenschaftsstudien bietet, um im Anschluss daran ein mögliches Alternativmodell vorzustellen.
In Teil I steht die Erforschung von Wissenschafts- und Wissenskulturen als Teilbereiche der Gesellschaft im Mittelpunkt, insbesondere in Form von wissenschaftlichen Disziplinen und Fachrichtungen als kulturelle Einheiten. Die Darlegung reicht von Thesen über "Zwei Kulturen " bzw. "Drei Kulturen" bis zu Konzeptionen "heterogener Fachkulturen". Da der Kulturbegriff mehr als Charakteristika von Personengruppen beschreibt, wird in Teil II das sozialanthropologische Verständnis von Kultur thematisiert. Solche Studien konzentrieren sich auf die natürliche Umgebung wissenschaftlicher Tätigkeit, wobei Existenz und Relevanz von Symbolen, Werten und materiellen Produkten zentral sind. Den vorgestellten Studien sind drei Merkmale, wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen, gemeinsam: Sie sind - zumindest konzeptionell - bestrebt, den sozialwissenschaflichen Reduktionismus zu überwinden; sie argumentieren in irgendeiner Form relativistisch; sie sind methodisch reflexiv.
Das heterogene Verständnis von Kultur, wie es in den verschiedenen Studien zum Ausdruck kommt, verweist auf das multiperspektivische Potential, zugleich jedoch auf die definitorische Schwäche des Begriffs. In Teil III wird als mögliche Alternative eine eher wenig beachtete Form der Wissenschaftsforschung vorgestellt: die "soziale Welten Perspektive" nach Anselm Strauss. Einerseits verwendet sie das operationale Konzept "Kultur" nicht und nutzt dennoch den Vorteil der Perspektivität. Andererseits hat sie ebenfalls den analytischen Umgang mit Reduktionismen und Relativität inkorporiert und ist methodisch reflexiv angelegt.