Das Ziel dieser Dissertation ist die Erweiterung bestehender Forschung im Saying is Believing-Paradigma und die Übertragung des Paradigmas auf den Bereich der Kommunikation über mehrdeutig sexistische Personen. Menschen verifizieren Interpretationen zu mehrdeutigen Themeninhalten häufig im sozialen Austausch (Festinger, 1950, 1954). Sie tun dies beispielweise durch Kommunikation, und passen dabei ihre Mitteilungen mehr oder weniger unbewusst an Einstellungen, Meinungen und Sichtweisen Ihres Adressaten an: Sie kommunizieren adressatenorientiert (Higgins & Rholes, 1978). Durch die adressatenorientierte Verzerrung ihrer Mitteilung erreichen sie jedoch nicht nur ihr Gegenüber und sorgen dafür, dass das Gespräch harmonisch verläuft, sondern sie bilden unter gewissen Umständen auch mitteilungskongruente Erinnerungen und Beurteilungen des Kommunikationsgegenstandes im Sinne eines Saying is Believing-Effekts aus (Echterhoff et al., 2008; Higgins & Rholes, 1978; McCann & Higgins, 1992; McCann, Higgins & Fondacaro, 1991). Als aktuellste und beste Erklärung für das Auftreten von Saying is Believing-Effekten nach adressatenorientierter Kommunikation gilt derzeit die Theorie der sozialen Realitätsbildung (Echterhoff, Higgins & Levine, 2009a). Nach dieser Theorie führt das Erleben einer sozial geteilten Realität während der adressatenorientierten Kommunikation als hinreichende und notwendige Bedingung zur Ausbildung kongruenter Erinnerungs- und Bewertungsverzerrungen (Echterhoff et al., 2005; Higgins & Pittmann, 2008).
Die Verifikation von Interpretationen durch Kommunikation und die Konstruktion einer sozialen Realität mit einem Adressaten verspricht insbesondere bei der Konfrontation mit mehrdeutig diskriminierendem Verhalten schwerwiegende Konsequenzen: Dann nämlich könnte adressatenorientierte Kommunikation unter gewissen Vorraussetzungen zur verzerrten Bewertung diskriminierenden Verhaltens und so möglicherweise zur Ausbildung eigener Vorurteile führen. Aus diesem Grund prüft die vorliegende Dissertation, inwiefern Menschen sexistische Mehrdeutigkeiten mithilfe adressatenorientierter Kommunikation disambiguieren und durch die Ausbildung einer gemeinsamen Realität mit ihrem Adressaten ihre Erinnerungen und Bewertungen des ambivalent sexistischen Verhaltens verzerren.
Mit Hilfe zweier Vorstudien wird eine ambivalent sexistische Personenbeschreibung erstellt, die anschließend in vier präsentierten Hauptstudien verwendet wird. Die erste Studie (I) beschreibt die inhaltliche Erweiterung des Saying is Believing-Paradigmas. Es wird untersucht, ob über eine Person, die sich ambivalent sexistisch verhält, adressatenorientiert kommuniziert wird und ob dadurch die Wahrnehmung, Erinnerung und Bewertung des sexistischen Verhaltens beeinflusst wird, d.h. ob Saying is Believing-Effekte auftreten. Anschließend wird in den Studien II und III geprüft, ob die so gebildeten Einstellungen auch für die Beurteilung anderer Personen genutzt werden. Zuletzt wird in Studie IV die zeitliche Beschränktheit der Effekte überprüft. Es wird untersucht, ob die durch adressatenorientierte Kommunikation gebildete Einstellung auch nach einer Woche spontan für die Beurteilung weiterer Personen genutzt wird oder ob für die Generalisierungseffekte die Verfügbarkeit explizit verstärkt werden muss. In allen Studien wird zudem die Bedeutsamkeit einer manipulierten Ähnlichkeit zum Adressaten für das erlebte Ausmaß geteilter Realität und die anschließenden Effekte betrachtet.
Mit Hilfe der Studien gelingt eine umfassende Beschreibung, wie die Wahrnehmung ambivalent sexistischen Verhaltens durch adressatenorientierte Kommunikation beeinflusst werden kann. Es wird demonstriert, dass Personen erste Eindrücke über ambivalent sexistisches Verhalten mit Hilfe adressatenorientierter Kommunikation disambiguieren und anschließend unter gewissen Voraussetzungen die Einstellung des Kommunikationspartners übernehmen. Eine Verzerrung der expliziten Beurteilung der Zielperson (jedoch konsistent keine Erinnerungsverzerrung) zeigt sich insbesondere bei hoher Motivation zur Teilung einer sozialen Realität (ähnlicher Gesprächspartner), bei geringer Motivation (unähnlicher Gesprächspartner) ist diese Verzerrung deskriptiv aber ebenfalls vorhanden. Eine differenzielle Betrachtung der in den Studien verwendeten unterschiedlichen Ähnlichkeitsmanipulationen zeigt, dass die Manipulation der Ähnlichkeit über die Bewertung von sozialen Situation (operationalisiert durch die Bewertung von Bildern des Multi-Motiv-Gitters) auf expliziten Maßen nicht zu einer stärkeren (vs. geringeren) wahrgenommenen geteilten Realität mit dem Adressaten führt. In den Studien I und III allerdings, in denen die Ähnlichkeit über die Bewertung spezifischer Mann-Frau-Interaktionen (Studie I) oder die Einstellungsähnlichkeit (Studie III) manipuliert wurde, geben Personen nach der Kommunikation mit ähnlichen (vs. unähnlichen) Adressaten auf den expliziten Maßen an, die geteilte soziale Realität als stärker wahrgenommen zu haben. Je stärker die von der Ähnlichkeitsmanipulation beeinflusste soziale Realitätsbildung mit dem Adressaten, desto ausgeprägter ist auch die adressatenkongruente Bewertungsverzerrung. Die Kommunikation mit einem ähnlichen Gesprächspartner führt also mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Wahrnehmung einer gemeinsamen Realität und anschließender Ausbildung kongruenter Einstellungen als die Kommunikation mit einem unähnlichen Gegenüber. Erstmals wird zudem gezeigt, dass die durch adressatenorientierte Kommunikation gebildete Einstellung unter bestimmten Umständen auf weitere Personen generalisiert wird. Wenn Personen ihre Einstellung durch die Kommunikation mit einem ähnlichen Adressaten gebildet haben, nutzen sie diese Einstellung für die Beurteilung weiterer ambivalenter Sexisten. Eine Einstellungsgeneralisierung erfolgt allerdings nur auf ebenfalls ambivalent sexistische Personen, nicht aber auf eindeutig zu klassifizierende Personen (feindseliger oder benevolenter Sexist bzw. neutrale Person – Studie II) oder andere ambivalent diskriminierende Personen (ambivalent homophobe Person, ambivalenter Rassist – Studie III). Das neue Einstellungsobjekt muss also augenscheinlich geeignet scheinen, die zuvor gebildete Einstellung zur Bewertung zu nutzen. Ein unähnlicher Kommunikationspartner hingegen scheint für die Realitätsbildung über die Gesamtkategorie solcher Personen gänzlich ungeeignet und die Einstellung, die zur ursprünglichen Zielperson gebildet wurde, wird nach der Kommunikation mit einem unähnlichen Kommunikationspartner nicht zur Beurteilung weiterer Personen genutzt. Die weitere Untersuchung des Generalisierungseffekts zeigt, dass er ohne explizite systematische Reaktivierung der Einstellungsverfügbarkeit nach einer Woche nicht spontan auftritt. Nur wenn Personen nach sieben Tagen aufgefordert werden, ihren Adressaten, seine Einstellung sowie die Kommunikationssituation zu erinnern, produzieren sie in einer freien Gedankenliste deskriptiv mehr Erinnerungen an die geteilte Realität und bewerten die neu vorgestellte ambivalent sexistische Zielperson gemäß ihrer durch adressatenorientierte Kommunikation gebildeten Einstellung. Bei schwacher, also nur oberflächlicher oder bei gänzlich fehlender Reaktivierung der Einstellungsverfügbarkeit erfolgt keine Generalisierung.
Insgesamt liefert die vorliegende Forschungsreihe so nicht nur eine inhaltliche Erweiterung des Saying is Believing-Paradigmas, sondern auch eine Erklärung, wie Einstellungen gegenüber diskriminierenden Personen und Diskriminierungen im Allgemeinen erworben werden können. Kritische Aspekte sowie Implikationen dieser Befunde werden in der Gesamtdiskussion umfassend betrachtet.