In Wissenschaft und Praxis zeichnet sich Konsens ab, dass aktuelle Herausforderungen (z.B. Wandel in Demographie und Krankheitsspektrum) eine stärkere Verankerung von Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung im Versorgungssystem verlangen. Vor diesem Hintergrund werden in der vorliegenden Arbeit die subjektiven Gesundheitsvorstellungen von Hausärzten in Oberösterreich sowie ihr subjektives Verständnis von Gesundheitsförderung und Prävention untersucht, um darauf aufbauend herauszufinden, ob bzw. unter welchen Bedingungen ein Brückenschlag vom Krankenversorgungssystem in Richtung Gesundheitsförderung möglich erscheint.
Die Antwort auf die Frage, welchen subjektiven Gesundheitsbegriff Ärzte haben und wie sie die Möglichkeiten und Grenzen von Gesundheitsförderung und Prävention einschätzen, ist nicht nur von praktischem Wert für die Entscheidungsträger im Gesundheitswesen, sondern trägt auch zu einem besseren Verständnis ärztlichen Handelns bei. Auf der theoretischen Ebene kann ein Beitrag zur (Weiter)Entwicklung eines angemessenen Gesundheitsbegriffes geleistet werden.
Die Untersuchung folgt einem qualitativen Design. Aus Experteninterviews werden durch qualitative Inhaltanalyse – unterstützt durch ein Software-Programm - subjektive Deutungsmuster aus narrativen Erzählungen herauskristallisiert.
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass bei oberösterreichischen Hausärzten neben einem krankheitsorientierten Gesundheitsverständnis sehr häufig auch gesundheitswissenschaftlich orientierte Gesundheitsvorstellungen vorliegen, ebenso wie sozial-funktional orientierte Gesundheitsvorstellungen. Fast immer wird mehr als ein Gesundheitsbegriff geschildert.
Die Begriffe Gesundheitsförderung und Prävention sind für oberösterreichische Hausärzte schwer auseinander zu halten und inhaltlich zu definieren.
In der Wahrnehmung der ärztlichen Rolle dominieren eindeutig krankheitsbezogene Aspekte und auch die Möglichkeiten bzw. Bereitschaft, hier in Richtung gesundheitsbezogenes Handeln etwas zu verändern, besteht eher begrenzt.
Gleichzeitig verstehen sich schon derzeit viele Hausärzte als Gesundheitsberater ihrer Patienten und würden diese Rolle grundsätzlich auch gerne ausbauen. Zeitliche Gründe und fehlende organisatorische und räumliche Kapazitäten werden – neben Honorarfragen – als Haupthinderungsgründe genannt.
Generell ziehen sich durch Selbstverständnis und Rollenwahrnehmung oberösterreichischer Hausärzte mehrere Ambilvalenzen: oberösterreichische Hausärzte unterscheiden zwischen ihrem, gewissermaßen privaten, Gesundheitsbegriff (der vielfach gesundheitswissen-schaftlich orientiert ist) – und ihrer Rolle als Hausarzt, in der sie sich auf das Pathogene-tische beschränken. Weiters formulieren Hausärzte einen nahezu Allzuständigkeitsanspruch, wenn es um die Gesundheit und Versorgung der von ihnen betreuten Familien geht – empfinden dabei aber Tätigkeiten außerhalb der Medizin im engeren Sinne als zumindest "lästig". Auch wenn es um Gesundheitsförderung und Prävention geht, ist diese Lücke zwischen dem Erkennen dessen, was im Sinne der Salutogenese notwendig wäre und dem, was konkretes ärztliches Tun auslöst (nämlich die Abwendung pathogenetischer Ereignisse) zu beobachten. Die vierte und letzte Ambivalenz schließlich betrifft die Rahmenbedingungen hausärztlichen Handelns. Hier zeigt sich, dass die Rahmenbedingungen (noch) nicht mit den programmatischen Aussagen und Bekenntnissen der (auch institutionellen) Akteure synchronisiert sind.
Aufbauend auf den Erkenntnissen dieser Arbeit wird vorgeschlagen, die Hausärzte grund-sätzlich in ihrem Kernkompetenzfeld (der Kuration) zu belassen, ihr umfangreiches Wissen über soziale und familiäre Zusammenhänge ("erlebte Anamnese") jedoch gezielt dafür zu nutzen, jene Menschen gesundheitsförderlichen Angeboten zuzuführen, die davon potentiell an meisten profitieren können. Die Festlegung dieser Angebote soll der Gebietskranken-kasse obliegen. Die mit dem so genannten Nahtstellenmanagement in Oberösterreich bestehende intermediäre Struktur soll dabei als Plattform für notwendige interorganisationale Abstimmungen auf der Bezirks- und Bundeslandesebene genutzt werden.