Nach der gewaltsamen Unterdrückung des Demokratisierungsschubes Anfang der 90er Jahre, kann von einem Rechtsstaat in Togo keine Rede sein. Fälschung von Wahlen, Unterdrückung oppositioneller Kräfte, Einschüchterung der Zivilgesellschaft, Einschränkung der Pressefreiheit sowie Korruption und Vetternwirtschaft – auch bei Polizei und Justiz - sind an der Tagesordnung. Obwohl die Regierung 1980 ein Familiengesetz mit vielfältigen Verbesserungen der Frauenrechte gegenüber traditionellen und religiösen Normen verabschiedet und außerdem zahlreiche internationale Menschen- bzw. Frauenrechtskonventionen unterzeichnet hat, haben Frauen im Alltag große Schwierigkeiten, ihre Rechte geltend zu machen. <br />
Die Regierung schiebt die Schuld für diese Missstände zum einen auf die Frauen selbst, die – des Lesens und Schreibens oft nicht mächtig – ihre verbrieften Rechte nicht kennen würden, zum anderen auf die Beharrlichkeit der Tradition, welche die Umsetzung dieser Rechte verhindere. Entsprechend haben Regierung und Frauenrechtsorganisationen bisher versucht, durch Informationskampagnen dem staatlichen Recht Geltung zu schaffen, wobei nichtstaatliche Rechtsordnungen und –foren bewusst ignoriert wurden.<br />
Die vorliegende Dissertation will diese Diskurse und Förderansätze hinterfragen. Sie untersucht, wie togoische Frauen im Alltag ihre Rechte aushandeln, und zwar im Spannungsfeld eines Pluralismus von traditionellen, religiösen, staatlichen und internationalen Rechtsordnungen und ihren vielfältigen rechtlichen Foren einerseits, und andererseits dem Bemühen von Nichtregierungsorganisationen, die Handlungsspielräume von Frauen im Alltag sowie in der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Staat zu erweitern.<br />
Der Arbeit liegt ein handlungstheoretischer Ansatz zugrunde. Entsprechend wird Rechtshandeln als Aushandlungsprozess begriffen und werden die jeweiligen Handlungslogiken der Akteure untersucht. Dafür wird auf das Konzept des „strong legal pluralism“ (John Griffiths 1986) zurückgegriffen, welches Rechtspluralismus als empirischen (statt normativen) Zustand der Koexistenz verschiedener Rechtsordnungen und einer Vielfalt von Rechtsforen innerhalb einer sozialen Gruppe auffasst und es ermöglicht, seine geschlechtsspezifische Konstruktion im Alltag zu analysieren. Ein weiterer Fokus der Arbeit liegt auf der Schaffung weiblicher sozialer Räume (Lachenmann 1996), d.h. wie Frauen Legitimität für ihre Interessen aushandeln und dadurch ihre miteinander verzahnten privaten und gesellschaftlichen – also auch politischen – Handlungsspielräume erweitern.<br />
Das methodische Vorgehen lehnt sich an das Konzept empirie-geleiteter Theoriebildung von Glaser und Strauss (1971). In neun Monaten Feldforschung zwischen 2001 und 2003 wurden 63 narrative, halbstrukturierte und biographische Interviews mit Frauen und Männern geführt. Zudem wurden über 40 Verhandlungen an staatlichen und traditionellen Gerichten sowie Mediationen, Rechtsberatungen, Schulungskurse und Konferenzen von Frauenrechtsorganisationen beobachtet. Diese Erhebungen fanden in der Hauptstadt Lomé sowie in ländlichen und städtischen Gegenden der Région Maritime und der Région des Plateaux in Südtogo statt, wo das staatliche Recht durchaus präsent ist, internationale Normen zunehmend bekannter werden, aber traditionelle und religiöse Normen durchaus fortbestehen. Außerdem sind in dieser Region mehrere Frauenrechtsorganisationen sehr aktiv. Hinzu kam die Teilnahme an Evaluierungen städtischer und ländlicher Rechtsberater/-innen (parajuristes) sowie die Auswertung von Gerichtsakten, NRO-Datenbanken und Bibliotheken in Lomé. <br />
Frauen unterschiedlichen Alters und sozioökonomischen Hintergrunds, die vorwiegend im städtischen Milieu verankert sind, aber auf vielfältige Weise mit dem ländlichen Milieu interagieren, wurden dazu befragt, wie sie als Töchter, Ehefrauen und Witwen Rechte eingefordert haben bzw. mit Konflikten umgegangen sind. Das Erb- und Familienrecht ist z.T. in gegensätzlicher Weise von den verschiedenen Rechtsordnungen geregelt und bildet die Grundlage ihrer wirtschaftlichen und politischen Rechte. Dabei folgte ich den Prioritätensetzungen der Interviewpartnerinnen bzw. beobachteten Fälle, was mir erlaubte, die Verknüpfung von Konflikten und Rechtsaushandlungen im Alltag und im biographischen Lebenslauf aus der Perspektive der Akteurinnen zu untersuchen. Vertreter von Rechtsforen wurden zu ihren Erfahrungen mit Frauenrechten befragt sowie zu dem Verhältnis der Rechtsordnungen und –foren untereinander. Außerdem interviewte ich NRO-Aktivistinnen über ihre Motivation, ihre Strategien und Erfahrungen in der Frauenrechtsarbeit, ihre Schwierigkeiten und Erfolge im persönlichen Umfeld, und die besonderen Herausforderungen durch den Rechtspluralismus innerhalb des autoritären Herrschaftssystems.<br />
Die alltäglichen Aushandlungsspielräume für Frauenrechte sind durch die ungleiche Geschlechterordnung in Togo sehr begrenzt. Diese wird durch die verschiedenen Rechtsordnungen immer wieder aufs Neue reproduziert. Auch der Zugang zu Rechtsforen ist geschlechtsspezifisch geregelt. Frauen werden mit sozialem Druck und Hexereiandrohungen davon abgehalten, ihre Konflikte außerhalb der Familie zu tragen. Manche Frauenbelange werden von traditionellen Gerichten nicht angehört, andere nur, wenn die Klägerin sich gegenüber den männlichen Richtern unterwürfig verhält. Aber auch Behörden und Gerichte benachteiligen Frauen häufig und erschweren so ihren Zugang zu Geburts- und Heiratsurkunden, Personalausweisen, Kindergeld, Witwenrenten usw.
Was den Rechtspluralismus anbelangt, so ist seine Bedeutung für Frauen ambivalent zu beurteilen. Einerseits schwächt die fortdauernde gesellschaftliche Anerkennung traditioneller und religiöser Normen die vom staatlichen Recht teilweise anvisierte Gleichstellung der Geschlechter. Daher haben Frauenrechtsorganisationen lange Zeit versucht, die nicht-staatlichen Normen einfach zu ignorieren. Erst seit kurzem bemühen sie sich – mit ersten Erfolgen – traditionelle Autoritäten zu ermutigen, ihre Normen geschlechtergerechter zu gestalten. Andererseits ist es gerade die schwache Anerkennung des staatlichen Rechts, die es Frauen auf der Suche nach Konfliktlösungen erlaubt, Rechtsforen nach eigenem Gutdünken auszuwählen und Argumente aus verschiedenen Rechtsordnungen zu kombinieren oder gegeneinander auszuspielen. Da die meisten Rechtsforen jedoch männlich dominiert sind, Frauen häufig benachteiligen und sich zudem gegenseitig unterstützen, ist es schwierig für Frauen, diesen rechtspluralistischen Handlungsspielraum für eine gesellschaftliche Anerkennung ihrer Rrechte zu nutzen und dadurch ihre sozialen Räume zu erweitern. Dies ändert sich allmählich durch die neuen NRO-Rechtsberatungszentren und parajuristischen Rechtsberaterinnen, welche den Frauen alternative Foren bieten, sowie durch ihre intensive Lobby- und Schulungsarbeit auf dem Gebiet der Frauenrechte. Zu guter letzt wird die Schwäche des staatlichen Rechts von NROs neuerdings dazu genutzt, dieses mithilfe internationaler Frauenrechtskonventionen auszuhebeln, z.B. im Erbrecht.<br />
Die Chancen von Frauen, in diesem komplexen männer-dominierten Rechtsfeld innerhalb eines autoritären Regimes dennoch Rechte geltend machen zu können, steigen mit ihrer Verfügung über verschiedene, sich gegenseitig verstärkende Ressourcen. Dazu gehören Selbstbewusstsein (to have tightened one’s belt), kommunikative Kompetenz, wirtschaftliche Unabhängigkeit, Kenntnisse des jeweiligen Rechts, seiner offiziellen Verfahren wie seiner inoffiziellen Spielregeln, ein stützendes soziales Netz sowie Beziehungen zu einflussreichen Leuten (to have long arms). D.h. es sind vorwiegend die wohlhabenderen, gebildeteren Frauen mit einem starken sozialen Netz, welche ihre Rechte aktiv aushandeln und von anderen Frauen als Vorbilder genommen werden. Die Zahl der Frauen, die solchermaßen mit Ressourcen ausgestattet sind, ist gering, wenn auch im Steigen begriffen.<br />
Obwohl Rechtskenntnisse, wie eben erwähnt, durchaus von Bedeutung sind, ist es jedoch nicht richtig, ihren Mangel als die Hauptursache der Rechtlosigkeit von Frauen im Alltag darzustellen, wie es die Regierung gerne tut. Zum einen trifft es einfach nicht zu, dass Frauen in rechtlichen Fragen völlig unwissend sind, da sie im Bereich traditioneller und religiöser Normen durchaus bewandert sind und sich auch bezüglich des staatlichen Rechts immer mehr Kenntnisse aneignen. Zum anderen machen solche „Systeme des Nichtwissens“ (Lachenmann 1994, Hobart 1993) blind für die zahlreichen strukturellen Ursachen, deren Behebung eigentlich Aufgabe des Staates wäre, wie frauendiskriminierende und korrupte Praktiken von Verwaltung und Gerichten – ganz zu Schweigen von grundsätzlichen rechtsstaatlichen Defiziten. Zudem verstärkt die Abwertung des weiblichen Wissens gegenüber den hegemonialen und männlich besetzten Kenntnissen des staatlichen Rechts das Dominanzdenken von Männern bzw. die subjektive Hilflosigkeit von Frauen und trägt zur Entfremdung der Frauen vom Staat bei.<br />
Einige der untersuchten nichtstaatlichen Frauenrechtsorganisationen in Togo hinterfragen Machtbeziehungen, sowohl auf der Ebene der Geschlechterordnung als auch zwischen Zivilgesellschaft und Staat. Sie arbeiten an den diversen Schnittstellen zwischen Frauen als Rechtshandelnden und den unterschiedlichen Rechtsforen, indem sie z.B. Gendertrainings und Frauenrechtsseminare für letztere durchführen. Mit den neuen, auf Frauenbelange spezialisierten städtischen Rechtsberatungszentren und den über 300 parajuristischen Beraterinnen, die auch in sehr ländlichen Gegenden arbeiten, verbessern sie sowohl den Zugang von Frauen zu rechtlichen Foren als auch die Zusammenarbeit der Foren untereinander. Sie machen Lobbyarbeit für die Reformierung traditioneller, staatlicher und internationaler Normen bzw. Gesetze. Außerdem erweitern sie mit parajuristischen Netzwerken, Konferenzen, Publikationsorganen und Radio/TV-Sendungen die Handlungsspielräume von Frauen in der Zivilgesellschaft und tragen dadurch zur Demokratisierung Togos bei.<br />
Es wird sich zeigen, inwiefern es den NROs gelingt, den zahlreichen strategischen wie politischen Herausforderungen in Togo zu begegnen: Die Rechtskenntnisse von Frauen auszubauen, ohne ihnen pauschal Unwissenheit zuzuschreiben; Männer für die Frauenrechtsarbeit zu gewinnen, ohne sich das Zepter aus der Hand nehmen zu lassen; auf juristische Expertise zurückzugreifen und dennoch zwischen den Handlungslogiken im Alltag und im staatlichen Recht zu vermitteln; mit traditionellen wie staatlichen Autoritäten zusammenzuarbeiten, ohne sich von ihnen vereinnahmen zu lassen; unabhängig in ihren Zielen und Ansätzen zu bleiben, trotz der Abhängigkeit von politischer und finanzieller Unterstützung von Geberorganisationen; schließlich, treibende Kraft für Frauenrechte und Demokratie zu bleiben, ohne vom Staat mundtot gemacht oder vereinnahmt zu werden. Die intensive Vernetzungsarbeit der togoischen Frauenrechts-NROs untereinander, mit anderen zivilgesellschaftlichen Kräften in Togo sowie auf regionaler (z.B. WILDAF) und internationaler Ebene, wie auch die Unterstützung durch bi- und multilaterale Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit, macht diese NROs über nationale Grenzen hinaus sichtbar und schützt durch diese Öffentlichkeit in begrenztem Maße vor Repressionen.<br />
Internationale Rechtsakteure, -ordnungen, -foren und -diskurse werden in zunehmendem Masse das rechtliche Feld bereichern. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass internationale Menschenrechtsstandards zum einen vor Ort bekannter werden und das individuelle Rechtsdenken beeinflussen, zum anderen von NROs immer häufiger zitiert werden, um traditionelle Praktiken und staatliche Gesetze zu hinterfragen. Andererseits sind lokale Rechtspraktiken immer häufiger Thema von nationalen und internationalen Debatten, Konferenzen und Gesetzgebungen, was wiederum auf die lokale Ebene ausstrahlt. Solche „glokalen“ rechtlichen Veränderungen eröffnen spannende neue Forschungsfelder.