Die vorliegende Dissertation widmet sich der Frage, wie sich der aktuelle Stand der Profession Soziale Arbeit im Feld der Sozialen Dienste des Jugendamtes hinsichtlich ausgewählter Kernaspekte der reflexiven Professionalität gestaltet.
Der Ansatz der reflexiven Professionalität nach Bernd Dewe und Hans-Uwe Otto stellt ein Modell zur theoretischen Fundierung von Professionalität dar. Anderes als klassische Attribute-Modelle rückt der Ansatz der reflexiven Professionalität die Qualität Sozialer Arbeit aus handlungstheoretischer Sicht in den Mittelpunkt professionstheoretischer Betrachtungen. Im Rahmen der vorliegenden Dissertation wird herausgearbeitet, dass der Ansatz der reflexiven Professionalität den Charakteristika Sozialer Arbeit am besten gerecht wird und einen geeigneten Vergewisserungs- und Orientierungsrahmen für die Professionellen darstellt. Wesentliches Element einer so verstandenen reflexiven Professionalität Sozialer Arbeit ist eine partizipatorisch-demokratische AdressatInnenorientierung im Sinne von Ermächtigung und Perspektivenerweiterung, die durch eine fall- und kontextspezifische Wissensnutzung, die gemeinsame Erarbeitung individueller Unterstützungsoptionen und die Ermöglichung situativ angemessener Partizipation der AdressatInnen gekennzeichnet ist. Darüber hinaus ist Reflexivität als wesentlicher Gradmesser ebendieser Professionalität zu verstehen. Professionelles Handeln erfolgt zudem immer in Relation zu den jeweiligen Organisationen und wird durch gesellschaftliche und wohlfahrtsstaatliche Veränderungen beeinflusst. Professionen sind – besonders in Bezug zu sich wandelnden Handlungsgrundlagen, Rahmenbedingungen und Problemlagen – gefordert, eine reflexive Auseinandersetzung mit den Besonderheiten ihrer Tätigkeit und eine entsprechende Neuausrichtung vorzunehmen. Für die Soziale Arbeit, die insgesamt im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Arrangements agiert und maßgeblich durch wohlfahrtsstaatliche Konzepte und Leitbilder beeinflusst wird, sind in der Folge der Verschiebung und Neugewichtung wohlfahrtsstaatlicher Konzepte und Leitbilder und damit verbundener Gerechtigkeitsvorstellungen gravierende Veränderungen zu verzeichnen. Der im März 2013 erschienene 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung verdeutlicht, dass die veränderte öffentliche Verantwortungsübernahme für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen neben erwünschten durchaus auch unerwünschte Auswirkungen haben kann.
Für die Sozialen Dienste der Jugendämter, die an der sensiblen Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft agieren und in den vergangenen Jahren vor allem bezüglich der Arbeit im Kinderschutzkontext in den Blickpunkt medialer Betrachtungen gerückt sind, ergibt sich ein besonderer Bedarf, diese veränderte Verantwortungsübernahme in den Blick zu nehmen und professionell zu gestalten. Dies vor allem auch, da in den vergangenen Jahren eine stärkere Kontroll- und Absicherungsmentalität zu verzeichnen ist. Verunsicherungen der Professionellen, die Angst vor Fehlentscheidungen und strafrechtlichen Konsequenzen beeinflussen die Zusammenarbeit mit den AdressatInnen und die Gestaltung der Hilfeprozesse. Zudem begünstigen veränderte managerielle Logiken die Einschränkung professioneller Autonomie und die Verringerung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, wodurch die Zusammenarbeit mit den AdressatInnen ebenfalls beeinflusst wird. Den Professionellen in den Sozialen Diensten der Jugendämter kommt ein erhebliches Maß an Verantwortung und gravierende Einflussmöglichkeiten auf die Lebenssituation der AdressatInnen zu und die Soziale Arbeit in diesem Kontext ist durch verschiedene Spannungsfelder und Dilemmata gekennzeichnet. Die hiermit verbundenen strukturellen Widersprüchlichkeiten erfordern eine beständige professionelle Balance, für die der skizzierte professionstheoretische Orientierungsrahmen von besonderer Bedeutung ist.
Vor diesem Hintergrund gibt die vorliegende Dissertation Auskunft darüber, inwieweit die im Ansatz der reflexiven Professionalität enthaltenen und normativ geprägten Aspekte der AdressatInnenorientierung im Sinne von Ermächtigung und Perspektivenerweiterung auch in den AdressatInnenbildern der Professionellen in den Sozialen Diensten des Jugendamtes sowie der Gestaltung der Zusammenarbeit mit den AdressatInnen zum Ausdruck kommen und inwieweit diese durch personale, berufsbiographische und organisationale beeinflusst werden.