In eukaryotischen Zellen wird die Fusion membranumschlossener Organellen durch SNARE-Proteine katalysiert. Vti1a und Vti1b sind in Säugern ubiquitär exprimierte Qb-SNAREs, welche die Membranfusion bei jeweils spezifischen Transportschritten im endosomalen System vermitteln. Um die in vivo-Funktionen von Vti1a und Vti1b näher zu charakterisieren, wurden murine Knockout-Modelle erstellt. Während die einzelne Defizienz von Vti1a oder Vti1b zu keinem schwerwiegenden Phänotyp führte, erwies sich der Doppelknockout (DKO) als perinatal letal. Dies ließ darauf schließen, dass sich die zu 30 % homologen SNAREs Vti1a und Vti1b in ihren jeweiligen SNARE-Komplexen funktionell ersetzen können. An den DKO Embryonen fiel vor allem ein neuronaler Phänotyp auf, der sich durch progressive Degeneration peripherer Ganglien und Fehlbildungen axonaler Bahnen auszeichnete.
In dieser Arbeit zeigte sich, dass DKO Embryonen am Tag 18,5 ihrer Entwicklung (E18,5) bereits durch äußerliche Merkmale von ihren Wurfgeschwistern unterscheidbar sind. Präparierte Skelette dieser Embryonen waren besonders durch Verformung der Claviculae und mangelnde Calcifizierung des Sternums gekennzeichnet. In Paraffinschnitten der Lunge waren die Alveolen weniger expandiert und die Septen verdickt. Diese Veränderungen an Skelett und Lunge könnten über mehrere Mechanismen, wie z.B. eine fehlregulierte Signaltransduktion, mit der Vti1a/Vti1b Defizienz in Verbindung stehen.
Zur Untersuchung der Defizienz von Vti1a und Vti1b auf zellulärer Ebene wurden mausembryonale Fibroblasten (MEF) entsprechender Genotypen immortalisiert. DKO MEF sekretierten vermehrt lysosomale Hydrolasen, was auf einen Defekt im Recycling von Mannose-6-Phosphatrezeptoren (MPR) zwischen Endosomen und trans-Golgi-Netzwerk schließen ließ. Konzentration und Lokalisation der MPR waren jedoch in DKO und Kontrollen vergleichbar. In DKO MEF wurde der EGF-Rezeptor bei Stimulation mit physiologischen Mengen EGF rapide abgebaut, was in Kontrollzellen nicht beobachtet wurde. Dies deutet darauf hin, dass der EGF-Rezeptor im DKO nach der Endozytose fehlsortiert und daher degradiert statt recycelt wird. Da die Signalgebung des EGF-Rezeptors und verwandter Rezeptor-Tyrosinkinasen essentiell für die embryonale Entwicklung ist, könnte diese Dysregulation eine Ursache für die Fehlentwicklungen im DKO sein.
Bei Stimulation des Rezeptors mit hohen EGF-Konzentrationen fanden dagegen Transport und Degradation des Rezeptorkomplexes in DKO- und Kontrollzellen mit ähnlicher Kinetik statt. Auch die EGF-abhängige Phosphorylierung von Erk sowie die Zellmigration verliefen in DKO und Kontrollen vergleichbar, so dass unter diesen Bedingungen Sortierung und Transport des Rezeptors vermutlich nicht gestört sind.
Es wurde untersucht, ob Vti1a und Vti1b eine Rolle beim Auf- und Abbau intrazellulärer Lipidtropfen spielen; diese Hypothese bestätigte sich jedoch nicht.
Die Analyse der DKO Morphologie über mehrere Marker des endosomalen Systems zeigte keine offenkundigen phänotypischen Veränderungen. Aufnahme und Recycling von Transferrin sowie Aufnahme und Transport von Dextran, LDL und Choleratoxin waren im DKO gegenüber Kontrollzellen nicht verändert. Demnach ist die Endozytose über Makropinozytose und Clathrin- bzw. Caveolin-abhängige Mechanismen, wie auch der nachfolgende endosomale Transportweg, im DKO nicht beeinträchtigt. Auch die autophagozytotische Kapazität, die durch radioaktiven pulse-chase und über die Akkumu-lation von LC3-II bestimmt wurde, war zwischen DKO MEF und Kontrollzellen vergleich-bar. Vti1a und Vti1b sind nach in vitro Daten für Fusionen in allen genannten Transport-wegen und Prozessen essentiell. In Hefen ist die Deletion von VTI1, des dort einzigen Homologen von Vti1a und Vti1b, letal. Zusammengenommen lässt dies darauf schließen, dass im murinen Doppelknockout die Defizienz von Vti1a und Vti1b durch andere Qb- oder Qbc-SNAREs kompensiert wird.
Als weiteres Modellsystem der Vti1a/Vti1b Defizienz wurden hippocampale Neuronen an E18,5 präpariert. In vitro-Kulturen DKO hippocampaler Neuronen waren gegenüber Kontrollen wesentlich weniger dicht. Zudem bildeten DKO Neuronen zu einem geringeren Anteil neuronale Fortsätze aus, die im Vergleich zu denen der Kontrollzellen verkürzt waren. Zwar zeigte sich, dass DKO Neuronen durch das Neurotrophin NT-3 stimuliert werden konnten, das durch NT-3 induzierte Neuritenwachstum war jedoch im DKO deutlich geringer als in Kontrollzellen. Diese Beobachtungen könnten einerseits auf eine Rolle von Vti1a/Vti1b im anterograden Transport vom Zellkörper zur Wachstumszone der Neuriten hindeuten. Andererseits wäre eine Beteiligung von Vti1a/Vti1b am retrograden Transport u.a. von Signaling-Endosomen denkbar. Beide Prozesse sind für die neuronale Entwicklung, das Neuritenwachstum und das Überleben der Neuronen essentiell.