Die Fähigkeit, die eigenen Emotionen adäquat regulieren zu können, ist eine Aufgabe, die Kinder im Laufe ihrer Entwicklung bewältigen müssen, um sozioemotionale Kompe-tenzen aufzubauen und eine gesunde psychosoziale Entwicklung zu durchlaufen. Bei-spielsweise lernen Kinder verschiedene Strategien (z.B. Umbewertung, Ablenkung) einzusetzen, um ihre Reaktionen zu verändern, wenn sie wütend sind. Über den Ent-wicklungsverlauf ist hierbei eine zunehmende Verschiebung von einer interpsychischen (d.h. interaktiven) Regulation hin zu einer intrapsychischen (d.h. selbstständigen) Regulation zu beobachten. Weil vor allem in den ersten sechs Lebensjahren die Emotionsregulation (ER) in besonderer Weise von der Bezugsperson mit beeinflusst wird, wurden Zusammenhänge zwischen familiären Kontextfaktoren und der kindlichen ER bisher überwiegend in dem Entwicklungsfenster der frühen Kindheit untersucht. In Bezug auf den späteren Verlauf der Kindheit und des Jugendalters mangelt es dagegen bisher an Studien zu der Frage, über welche Einflussfaktoren im Elternhaus (z.B. das elterliche Erziehungsverhalten, der elterliche Umgang mit Emotionen) die kindliche ER sozialisiert wird, in welchem Zusammenhang die kindliche psychosoziale Entwicklung hierbei gesehen werden kann und welche Wirkmechanismen diesen Zusammenhängen zu Grunde liegen. Morris et al. (2007) fassen in ihrem Review empirische Befunde zu dieser Fragestellung zusammen. In ihrem Rahmenmodell wird ER als vermittelnde Variable zwischen elterlichen Einflussfaktoren und der kindlichen Anpassung thematisiert. Hierbei wird angenommen, dass der familiäre Kontext die ER des Kindes durch verschiedene Wirkmechanismen beeinflusst, die sich drei Bereichen zuordnen lassen: Hierzu zählen das Beobachtungs- bzw. Modelllernen, elterliche emotionsspezifische Erziehungspraktiken (bei denen es sich um gezielte Strategien zur Sozialisation der kindlichen ER handelt) und das emotionale Familienklima (welches unter anderem durch das allgemeine Erziehungsverhalten charakterisiert ist). Eine weitere Annahme des Modells lautet, dass diese Bereiche durch elterliche Charakteristika (z.B. die psychische Belastung) beeinflusst werden. Weiterhin enthält das Modell die Annahme, dass der Einfluss des familiären Kontexts auf die kindliche ER durch kindliche Charakteristika (z.B. das Alter und das Geschlecht) moderiert wird. Ziel der vorliegenden Arbeit war die Prüfung einiger zentraler Kernannahmen dieses Rahmenmodells. Hierzu wurden drei Studien durchgeführt, in denen jeweils exemplarisch die kindliche Regulation von Wut untersucht wurde.
Die erste Studie fokussiert vor allem auf elterliche Charakteristika, die Rolle von emotionsspezifischen Erziehungspraktiken, des emotionalen Familienklimas sowie zentralen kindlichen Charakteristika im Vor- und Grundschulalter. In dieser querschnittlichen Studie stützten die Befunde die Annahme, dass der Einfluss der elterlichen psychischen Belastung vollständig durch die emotionsspezifischen Erziehungspraktiken und das emotionale Familienklima mediiert wird. Die Effekte waren wider Erwarten vom kindlichen Alter und Geschlecht unabhängig. In der zweiten, längsschnittlichen Studie wurde anhand einer wesentlich umfangreicheren Stichprobe das Ziel verfolgt, die Wirkrichtung hinter den Zusammenhängen zwischen der elterlichen Erziehung, der kindlichen ER und der kindlichen Anpassung für den Zeitraum der Präadoleszenz unter Berücksichtigung kindlicher Charakteristika genauer zu beleuchten. Die Ergebnisse stützen die Vermutung, dass der familiäre Kontext auch in dieser Entwicklungsphase eine bedeutende Rolle spielt. Allerdings deuten die Befunde darauf hin, dass der familiäre Kontext den Einfluss der ER auf die psychosoziale Anpassung mediiert und nicht wie in dem Rahmenmodell angenommen bedingt. Darüber hinaus waren die Zusammenhänge bei Jungen sowie in der Gruppe der psychisch unbelasteten Jugendlichen deutlich stärker. In der dritten Studie sollten ebenfalls für den Altersbereich der Präadoleszenz die Interaktion von adaptiven und maladaptiven Strategien in individuellen ERsprofilen sowie mögliche differenzielle Zusammenhänge in Bezug auf die kindliche Anpassung betrachtet werden. Hierbei zeigten sich vier verschiedene Profile, die die Annahme untermauern, dass es sich bei adaptiven und maladaptiven Strategien um zwei verschiedene Dimensionen der ER handelt. Diese Profile wiesen zudem divergente Zu-sammenhänge zu prosozialem Verhalten sowie zu internalisierenden und externalisierenden Problemen auf.
Insgesamt stützen die Ergebnisse einen Teil der Kernannahmen des Rahmenmodells von Morris (2007), verdeutlichen aber gleichzeitig die Notwendigkeit einer Anpassung des Modells insbesondere für den Bereich des Jugendalters. Aus den Ergebnissen der Studien werden praktische Implikationen sowie verschiedene Revisionsvorschläge abgeleitet, die in einem modifizierten Modell integriert werden. Dieses erweiterte Ar-beitsmodell eröffnet die Chance, theoriegeleitet weiterführende Forschungsfragen anzugehen. Eine systematische empirische Überprüfung dieses modifizierten Modells in Form eines breit und langfristig angelegten Forschungsprogramms ist angesichts der Relevanz des Themas ebenso notwendig wie vielversprechend. Es verspricht einen tieferen Einblick in die Wirkmechanismen, die der intergenerationalen Transmission psychischer Störungen zu Grunde liegen, und könnte somit wichtige Impulse für eine systemisch orientierte Prävention und Therapie psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter liefern.