Minimal verbale Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) unterscheiden sich erheblich in ihren Entwicklungsprofilen und Barrieren für den Einstieg in die produktive Sprachentwicklung. Entsprechend sollten Interventionen zur Förderung der nonverbalen und verbalen Kommunikation bei dieser Zielgruppe stark individualisiert erfolgen; je nach Voraussetzungen des jeweiligen Kindes sind unterschiedliche Kombinationen von Methoden aus verschiedenen Förderansätzen indiziert. Es fehlen jedoch Förderleitlinien, die verbindliche Kriterien für eine individualisierte und zugleich systematische Auswahl von Fördermethoden enthalten. Die vorliegende Arbeit liefert einen Beitrag zur Entwicklung solcher Leitlinien, indem das Konzept der entwicklungsorientierten Kommunikations- und Sprachförderung nach Aktas, Asbrock, Doil & Müller (2012) auf die Zielgruppe minimal verbaler Kinder mit ASS angewendet wird.
Für die in diesem Konzept vorgesehene Diagnostik wird zunächst ein neues Elternbefragungsinstrument, der sog. Komm!-Bogen (Müller & Caroli, 2008), längsschnittlich bei 22 typisch entwickelten Kindern im Alter von 12 bis 24 Monaten erprobt (Komm!-Bogen-Studie). Darauf aufbauend wird der Bogen dann im Rahmen einer Einzelfallserie mit Prätest-Posttest-Design (Interventionsstudie) bei 7 minimal verbalen Kindern mit ASS im Alter von 2;11 bis 6;3 Jahren eingesetzt; dabei wird der Bogen zunächst zur Erfassung der Entwicklungsprofile zu Beginn der Intervention (Prätest) sowie ein Jahr später zur Evaluation der Therapiefortschritte (Posttest) genutzt. Zwischen dem Prätest und dem Posttest nehmen die Kinder an einer individualisierten, entwicklungsorientierten und Förderansätze kombinierenden Kommunikationsfördermaßnahme nach dem o. g. Konzept teil, die in einem regulären Versorgungskontext durchgeführt wird (wöchentlich 2 Stunden Einzeltherapie in einem Autismusförderzentrum in enger Kooperation mit Eltern und Kindertagesstätte/Schule).
Der Komm!-Bogen erweist sich in beiden Studien als geeignetes Instrument, um interindividuelle Unterschiede im Kommunikationsverhalten typisch entwickelter und autistisch beeinträchtigter Kinder differenziert zu erfassen sowie die erwarteten Entwicklungsveränderungen abzubilden. Ferner bewährt er sich in der klinischen Anwendung, um individuelle Förderziele für die untersuchten Kinder mit ASS ableiten zu können.
Die zu Beginn der Interventionsstudie durchgeführten diagnostischen Erhebungen bestätigen die schon in anderen Studien beschriebene große Heterogenität der Entwicklungsprofile bei minimal verbalen Kindern mit ASS. Entsprechend werden im Verlauf der Interventionen sehr unterschiedliche Fördermethoden bei den 7 untersuchten Kindern eingesetzt. Nach Abschluss der Interventionen lässt sich im Posttest nachweisen, dass sich die Kinder in der Häufigkeit und im Niveau ihres kommunikativen Verhaltens verbessert haben. Diese Fortschritte sind sowohl von den Bezugspersonen im Alltag zu erkennen als auch von Fachleuten im Rahmen einer standardisierten Verhaltensbeobachtung. Dabei variiert die Art der Entwicklungsfortschritte (Zuwachs in den vorsymbolischen vs. symbolischen Kommunikationsmitteln) in Abhängigkeit vom individuell gewählten Förderschwerpunkt.
Im Diskussionsteil der Arbeit werden die Ergebnisse der Interventionsstudie mit dem aktuellen Stand der Spracherwerbsforschung bei Kindern mit ASS sowie mit Befunden aus der Interventionsforschung zusammengeführt. Auf dieser Grundlage werden Empfehlungen für eine systematische Kommunikations- und Sprachdiagnostik sowie Förderplanung bei minimal verbalen Kindern mit ASS abgeleitet. Ferner wird eine förderrelevante Einteilung der Zielgruppe nach verschiedenen Störungsschwerpunkten entwickelt, und es werden Empfehlungen für die Kommunikationsförderung und Sprachanbahnung bei minimal verbalen Kindern mit ASS – in Abhängigkeit vom vorliegenden Störungsschwerpunkt – formuliert. Diese Empfehlungen sind als vorläufige Förderleitlinien für die therapeutische Praxis gedacht, die es weiter zu entwickeln und empirisch zu überprüfen gilt.