Das Konzept der ‚Dehumanisierung‘, der Entmenschlichung der Opfer genozidaler Gewalt in der Wahrnehmung und dem Bewusstsein der Täter, nimmt in der Genozidforschung einen zentralen Stellenwert ein. Der Text unterbreitet zwei Vorschläge für eine soziologische Modifikation dieses Konzeptes: Die Unterscheidung psychischer (auf Wahrnehmung bezogener) Dehumanisierung von sozialer (durch Kommunikation und Handeln vollzogener) Dehumanisierung einerseits und die Fokussierung auf die Frage nach den Funktionen dieser beiden Formen von Dehumanisierung andererseits.
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Die Fruchtbarkeit dieser Modifikation wird anhand einer Betrachtung der Einsätze der deutschen Polizeibataillone 61 und 101 während des Zweiten Weltkrieges demonstriert, in deren Rahmen die Mitglieder dieser beiden Bataillone zwischen 1939 und 1943 eine Vielzahl an Juden und Polen erschossen haben. Anhand von Schulungsmaterialien, Bilddokumenten und Gerichtsakten, welche die Behandlung der polnischen und jüdischen Opfer durch die deutschen Polizisten thematisieren, erweist sich soziale Dehumanisierung als eigenständiges und für die Durchführung von Genoziden bedeutsameres Phänomen als psychische Dehumanisierung.
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Die in der Genozidforschung weithin behauptete Unverzichtbarkeit von Dehumanisierung in Genoziden muss jedoch auch in Hinblick auf ihre soziale Form bezweifelt werden, da die im Text nachgezeichnete Begrenztheit von Dehumanisierungsprozessen keine Störungen der Massentötungen nach sich zog. Daraus schließt der Text zum einen auf eine Überschätzung menschlicher Tötungshemmungen in weiten Teilen der Genozidforschung und zum anderen auf die Fähigkeit von Organisationen, die Bedeutsamkeit kognitiver Sachverhalte zu neutralisieren und funktionale Äquivalente zu psychischer und sozialer Dehumanisierung hervorzubringen.