Hintergrund: Seit vielen Jahren weisen Wissenschaftler auf die ökonomischen und sozialen Folgen hin, die Unternehmen und Organisationen – und damit der Gesellschaft insgesamt – durch Beeinträchtigungen der Gesundheit von Beschäftigten entstehen. Eine der einflussreichsten Arbeiten, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Arbeitswelt und Gesundheit auseinandergesetzt haben, ist die nach dem Londoner Regierungsbezirk benannte Whitehall-Studie. Diese Fallstudie zur Gesundheit von Beamten im britischen öffentlichen Dienst weist nach, dass Menschen, die die Karriereleiter erklimmen, nicht nur Einkommen und Ansehen gewinnen, sondern sich auch ihre Lebenserwartung signifikant erhöht. Der Sozialkapital-Ansatz, der sich auch mit dem Zusammenhang Arbeitswelt und Gesundheit beschäftigt, nimmt an, dass der Einfluss der Hierarchie und der des Sozialkapitals (das soziale Vermögen einer Organisation) unabhängig voneinander operieren. Vor diesem Hintergrund stellt die vorliegende Arbeit bei der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Arbeitswelt und Gesundheit das Sozialkapital ins Zentrum.
Fragestellung und Zielsetzung: Auf der theoretischen Ebene besteht das Erkenntnisinteresse darin, über eine Kontrastierung der Whitehall- und der Sozialkapital-Forschung ein klareres Verständnis von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser beiden Ansätze zu gewinnen. Die zusammenfassende Gegenüberstellung beider Forschungsansätze wird durch die Frage geleitet, welche wesentliche Erkenntnisse sich daraus für den empirischen Teil der Arbeit generieren lassen. Im Zentrum der empirischen Analyse wie auch der theoretischen Diskussion steht die Frage, wovon Gesundheit abhängt und welche betrieblichen Faktoren abgesehen von der hierarchischen Position (Führungskraft oder Mitarbeiter) sie beeinflussen. Darauf aufbauend werden entsprechend Hypothesen abgeleitet.
Forschungsdesign: Die Studie ist eine Sekundäranalyse von Daten aus 14 deutschen Behörden und Unternehmen, die verschiedenen Branchen angehören und unterschiedlich viele Beschäftigte und Führungskräfte haben. Mithilfe von Fragebögen wurden in den einzelnen Unternehmen und Organisationen Informationen zur jeweiligen Ausstattung mit Sozialkapital und zum Gesundheitszustand der dort Beschäftigten erhoben. Der „bereinigte“ Datensatz, der die Grundlage für alle Analyseschritte bildet, beinhaltet 4.777 Fälle, davon 794 Führungskräfte und 3.983 Mitarbeiter.
Methoden der statistischen Analyse: In der quantitativen Datenanalyse wurden uni-, bi- und multivariate Verfahren eingesetzt. Multivariate Verfahren wurden eingesetzt, um die Beziehungen zwischen mehreren Variablen zu analysieren. Um die Beobachtungen zu mehrerer Variablen zu klassifizieren und den Einfluss der unabhängigen Variablen auf die abhängigen Variablen zu erfassen, wurden in der vorliegenden Arbeit die Clusterzentrenanalyse und die multiple lineare Regression eingesetzt.
Ergebnisse: Anhand der Primärdaten wurde deutlich, dass eine emotionale Bindung an die Tätigkeit, Personen oder die Organisation eine protektive Wirkung auf die Gesundheit hat. Im Rahmen der Prüfung der aufgestellten Hypothesen wurde gezeigt, dass es in beiden Statusgruppen Untergruppen von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gibt. In der Regressionsanalyse erweist sich insbesondere das Wertekapital (geteilte Überzeugungen und kollektive Wertvorstellungen sowie deren Umsetzung im betrieblichen Alltag) als eine erklärende Variable für die Gesundheitsmerkmale.
Schlussfolgerungen: Die Dissertation bestätigt vorliegende Erkenntnisse der Sozialkapital-Forschung, dass die Auseinandersetzung mit dem Sozialkapital eines Unternehmens bzw. die Investition in dieses für die Gesundheit der Beschäftigten und somit auch für den Organisationserfolg von großer Bedeutung ist. Zugleich macht sie aber auch deutlich, dass im Hinblick auf Führungskräfte der unteren und mittleren Führungsebene noch erheblicher Forschungsbedarf besteht. Es wäre sinnvoll, die Ergebnisse dieser Studie in zukünftigen Forschungsprojekten durch Längsschnittstudien zu vertiefen und zu differenzieren. Damit könnte auch der Erfolg von Interventions- und Entwicklungsmaßnahmen im Bereich werteorientierter und gesundheitsgerechter Führung und von gezielten Investitionen in das Sozialkapital evaluiert und der Frage nach kausalen Zusammenhängen nachgegangen werden.