„Den allermeisten Mädchen und Jungen in Deutschland geht es gut. Im Jugendalter stehen sie sogar besser da als vor sechs Jahren“, lautet das Fazit des Kinder- und Jugendgesundheitssurvey im Jahr 2013 (RKI 2013). Dennoch birgt dieses noch so erfreuliche Ergebnis auch eine Schattenseite. Denn nur die allermeisten Jugendlichen fallen unter die konstatierten health-winner. Eine, wenn auch zahlenmäßig unterlegene, Gruppe von Jugendlichen zeigt demgegenüber vermehrte biopsychosoziale Beeinträchtigungen bis hin zu manifesten Störungen (vgl. RKI 2007, 2013; BMFSFJ 2009; WHO 2011) und verweist damit unumgänglich auf die Frage, was diese Jugendlichen von denjenigen, die als gesund gelten, unterscheidet. Was hilft Jugendlichen gesund zu bleiben bzw. ihre Gesundheit immer wieder gelingend herzustellen? Was hilft ihnen gesundheitskompetent zu handeln, sich selbst als handlungsmächtig zur Einflussnahme auf die eigene Gesundheit zu erleben? Was hilft Jugendlichen sich gesund zu entwickeln, erwachsen und älter zu werden?<br />
Ausgehend von diesen Fragen widmet sich die vorliegende Dissertation im ersten Teil einem theoretischen Diskurs über das Soziale in/an der Gesundheit. Spätestens seit dem 13. Kinder- und Jugendbericht sollte Gesundheit, als Thema der Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr hinterfragt sondern als klar formulierter Auftrag verstanden werden, der sich auch unter historischer Betrachtung nicht von Sozialer Arbeit trennen lässt. Demgegenüber steht jedoch ein dual geprägtes Gesundheitsverständnis, das sich bis heute in eindeutiger Differenzierung zwischen Sozial- und Gesundheitssystem niederschlägt. Gesundheitsbezogene Chancengerechtigkeit sollte jedoch nicht von sozial bedingter Chancengerechtigkeit getrennt verstanden werden. Sie geht im Rahmen einer gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit – ihren je spezifischen Handlungsbereichen und Basiskonzepten – fruchtbar auf. Eine so gedachte gesundheitsbezogene Soziale Arbeit zeichnet sich durch ihre eindeutige Akteurs- und Lebensweltorientierung sowie Transdisziplinarität, Kooperation und Vernetzung aus. Mit Blick auf die im 13. KJB konstatierte Relevanz einer Auseinandersetzung mit der biopsychosozialen Entwicklung in der Lebensphase Jugend, orientiert sich die vorliegende Arbeit an der Frage, was Jugendlichen hilft gesund zu bleiben bzw. ihre Gesundheit immer wieder gelingend herzustellen. In der Gesundheitsberichterstattung werden dabei insbesondere die Verfügbarkeit von personalen und sozialen Ressourcen sowie geschlechtsbezogene Indikatoren hervorgehoben. Dem ergänzend werden in dieser Arbeit Zusammenhänge der subjektiven Gesundheit Jugendlicher mit lebensphasentypischen Entwicklungsaufgaben der Akzeptanz körperlicher Veränderungen, des Aufbaus sozialer Bindungen, der Qualifikation, Regeneration und Partizipation aufgezeigt und Verwirklichungschancen gesunder Entwicklung im Rekurs auf den Capability Approach diskutiert. Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Jugendlichen helfen, sich selbst als kompetent zur Einflussnahme auf ihre Gesundheit zu erleben und sich in Form ihrer selbst wahrgenommenen gesundheitsbezogenen Handlungsmacht oder Agency konkretisieren, stehen dabei im Fokus. Diese gesundheitsbezogene Agency sollte jedoch, wie theoriegeleitet und empirisch belegt zeigen wird, nicht losgelöst von den subjektiven Vorstellungen Jugendlicher über Gesundheit, ihrem Umgang mit Gesundheit im Alltag sowie ihren Annahmen über den eigenen Körper und die Psyche betrachtet werden. Anhand empirischer Befunde über subjektorientierte Alltagskonstruktionen von Gesundheit junger Menschen wird einerseits aufgezeigt, wie gesundheitsbezogene Agency innerhalb der je individuell diversen Lebenswelt herausgebildet, begrenzt und ermöglicht werden kann. Darüber hinaus eröffnet sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie gesundheitsbezogene Agency analysiert werden kann. Denn - gesundheitsbezogene Agency geht über individuelle Gesundheitskompetenz hinaus und sollte daher nicht losgelöst von ihrer Verwobenheit in soziokulturelle Strukturen analysiert werden. Hierzu bedient sich die vorliegende Arbeit einer komplexen, triangulativen Erfassung der Lebens- und Gesundheitswelt Jugendlicher sowie ihren je diversen Gesundheitsrepräsentationen. Ausgehend von der Frage was Jugendlichen selbst hilft gesund zu bleiben bzw. ihre Gesundheit immer wieder gelingend herzustellen, wurde eine Fragebogenuntersuchung mit 482 Jugendlichen im Alter von 15./16. Jahren an Haupt-, Realschulen und Gymnasien durchgeführt. Der Fragebogen zur Lebens- und Gesundheitswelt Jugendlicher (F-LGJ) wurde eigens für das vorliegende Forschungsinteresse entwickelt, erprobt und durchgeführt. Er zeichnet sich durch eine Verbindung bekannter, zumeist gesundheitswissenschaftlich oder sozialpsychologisch etablierter Verfahren, mit explorativ-rekonstruktiven Elementen aus. Er zeigt im Ergebnis auf, das die subjektive Gesundheit der befragten Jugendlichen eng mit lebensstil-, lebensphasen- und lebensweltspezifischen Faktoren zusammenhängt und durch personale Ressourcen der Kohärenz und Kompetenz beeinflusst wird. Eine so verstandene gesundheitsbezogene Handlungskompetenz der Befragten wird innerhalb einer psychosomatischen Kultur, eines subjektiv-soziokulturellen Verständnis von Gesundheit hervorgebracht. Diesem Gedanken eines gemeinsamen Verständnis über Gesundheit folgend wurde eine statistische Gesundheitstypologie gebildet und 12 Jugendliche, als im statistischen Sinne prototypisch zu erachtende RepräsentantInnen der drei identifizierten Typen, in fokussierten und typenhomogenen Gruppendiskussionen interviewt. Im Ergebnis beider Untersuchungen, der quantitativen Fragebogenerhebung und den qualitativen Gruppendiskussionen, wird deutlich, dass sich eine Förderung von Gesundheitskompetenz einerseits auf die Förderung individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten beziehen sollte, gleichzeitig aber durch subjektorientierte Alltagskonstruktionen von Gesundheit, den je typischen Charakteristika der drei Gesundheitstypen, entscheidend formiert wird. Eine so verstandene gesundheitsbezogene Agency hilft es Jugendlichen gesund zu bleiben, bzw. ihre Gesundheit immer wieder gelingend herzustellen und aufrecht zu erhalten, wird aber gleichermaßen vor dem Hintergrund alltäglicher Repräsentationen von Gesundheit und damit verbundenen Relevanzsetzungen der Befragten begrenzt. Gesundheitsbezogene Motive und Handlungsstrategien werden durch das subjektive Verständnis der Befragten sowie ihre soziokulturelle Auffassung über den guten Umgang mit dem eigenen Körper, der Psyche und Gesundheit maßgeblich beeinflusst. Eine gezielte Förderung von Gesundheitskompetenz in der Kinder- und Jugendhilfe, also der gezielten Förderung von Fähigkeit, damit Heranwachsende sich als Handlungsmächtig zur Einflussnahme auf ihre eigene Gesundheit wahrnehmen - der Stärkung individueller gesundheitsbezogener Agency – sollte damit ein Verständnis für die Bedürfnisse von Jugendlichen, insbesondere vor dem Hintergrund ihres Lebensstils, ihrer Lebensphase und –lage voraussetzen und fordert eine kritische Analyse und offenen Diskurs über strukturelle (Be)Grenz(ung)en und Möglichkeiten der Herausbildung von Gesundheitskompetenz in der Lebensphase Jugend.