Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation (Deci & Ryan, 1985,1993, 2002; Ryan & Deci, 2017) schreibt jeder Person unabhängig von Alter und Herkunft das inhärente Bedürfnis nach der Befriedigung der drei Basic Needs (psychologische Grundbedürfnisse) nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit zu. Die Befriedigung der Basic Needs ist essentiell für die Entwicklung, begünstigt intrinsische Motivation und fördert Wohlbefinden (Deci & Ryan, 1993; Ryan & Deci, 2017). Diese Arbeit setzt sich mit der Unterstützung der drei Basic Needs und der intrinsischen Motivation im Kontext des Lernortes Schule und eines außerschulischen Lernortes (asL) in Form einer Mitmachausstellung auseinander. Nach Eshach (2007) wird dabei Schulklassenbesuchen am asL das nicht-formale Lernen zugeordnet. Dem Lernort Schule wird das formale Lernen zugeordnet. <br />
Außerschulisches Lernen wird als gewinnbringend für den (regulären) Schulunterricht angesehen (Falk & Storksdieck, 2005). Motivationale Zielsetzungen kommen bei Schulbesuchen am asL allerdings zu kurz (Lewalter & Geyer, 2009). Es existieren jedoch keine theoretischen Ansätze, die genau auf die Anforderungen und die optimale Nutzung von Schulklassenbesuchen am asL passen (vgl. Eshach, 2007). Die häufig mit asL verbundene Neuheit der Lernumgebung und das typische, aus der Schule bekannte Verhalten der Lehrkräfte (Reeve, Bolt, & Cai, 1999), könnten zu einer Beeinträchtigung der Basic Needs führen. <br />
Struktur kann die Wirkung der Neuheit der Lernumgebung durch die Förderung des Basic Needs nach Kompetenz abmildern (vgl. Dupont, Galand, Nils, & Hospel, 2014; Vansteenkiste et al., 2012). Kontrollierendes bzw. autonomieförderliches Lehrerverhalten könnte die Wahrnehmung der Struktur beeinflussen. Das übliche Lehrerverhalten am asL ist geprägt von der Fokussierung auf direkte und aufgabenorientierte Anweisungen (Griffin & Symington, 1997). Dieses Verhalten beeinflusst die Wahrnehmung der Komponenten der Autonomie (vgl. Reeve, Nix, & Hamm, 2003) negativ. Die eigentlich unterstützende Struktur könnte dann als Einschränkungen des Handlungsspielraumes wahrgenommen werden (vgl. Jang, Reeve, & Deci, 2010). Autonomieförderliches Lehrerverhalten zeichnet sich durch nicht-kontrollierende Sprache, Wahlmöglichkeiten und die Anerkennung der Perspektive der Studenten aus und fördert die Komponenten der Autonomie.<br />
Zum Aufbau eines kontrollierbaren asL an der Universität Bielefeld sowie einer Etablierung der Operationalisierung von bedürfnisunterstützenden Maßnahmen am asL wurden zwei Vorstudien durchgeführt (Vorstudie 1, N=231; Vorstudie 2, N=226). Diese dienten der Erprobung der Struktur und der an den Lernort gebundenen Umsetzung des Lehrerverhaltens. Anhand der Selbstbestimmungstheorie der Motivation (SBT) und des Contextual Model of Learning (CMoL) wurden für die Vorstudien zwei Stufen an Struktur entwickelt. Die Stufen Basis- und Zusatzstruktur unterscheiden sich in der Elaboriertheit der eingesetzten Strukturelemente. Dabei wurde, um den Bildungsauftrag zu gewährleisten, die Basisstruktur absichtlich strukturierter angesetzt als aus theoretischer Fundierung möglich gewesen wäre. Hierfür wurde die SBT mit dem CMoL verbunden (Basten, Meyer-Ahrens, Fries, & Wilde, 2014). Ziel ist eine Reduzierung der wahrgenommenen Neuheit durch Struktur. Diese sollen die Unsicherheit und notwendige Neuorientierung an einem unbekannten asL abmildern, um den Schulausflug für affektive wie auch kognitive Lernziele gewinnbringend zu gestalten (vgl. Rennie & McClafferty, 1995). Angestrebt wird ein besseres Verständnis des Einsatzes von Struktur am asL. Es zeigten sich für typisches, aus der Schule bekanntes Lehrerverhalten (vgl. Dillon et al., 2006; Griffin & Symington, 1997), am asL keine positiven Einflüsse der Zusatzstruktur auf die intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler (SuS) (**Manuskript I**, *Untersuchung 1*, N=198). Dieses Lehrerverhalten kann als eher kontrollierend klassifiziert werden. Im Gegensatz dazu zeigte ein autonomieförderliches Lehrerverhalten vorteilhafte Einflüsse von Zusatzstruktur auf die intrinsische Motivation (**Manuskript I**, *Untersuchung 2*, N=189).<br />
In einer weiteren Untersuchung konnten die positive Wirkung von autonomieförderlich angebotener Struktur ebenfalls gefunden werden (**Manuskript II**, N=114). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Struktur kompetenzförderlich wirkt und intrinsische Motivation fördert, wenn sie autonomieförderlich und nicht kontrollierend dargeboten wurde. Es konnten Hinweise dafür gefunden werden, dass Lehrerverhalten und Struktur in Interaktion auf die Motivation wirken. Die Wahrnehmung der Befriedigung einzelner Basic Needs ist stark von den jeweils anderen beiden abhängig (vgl. Dupont et al., 2014; Ryan & Deci, 2017). Dieser Zusammenhang der Basic Needs untereinander konnte für Autonomie und Kompetenz gezeigt werden (**Manuskript II**). <br /><br />
Der Ergebnisse der Interventionsstudien (**Manuskript I** und **II**) zufolge konnten SuS nur effektiv unterstützt werden, wenn zusätzliche Struktur am asL durch autonomieförderliches Lehrerverhalten vermittelt wurden. Die Untersuchungen in **Manuskript II** zeigten, dass autonomieförderliches Lehrerverhalten und Kompetenzförderung durch eine höhere Stufe an Struktur theoriekonform zur im Vergleich höchsten Ausprägung positiver Motivationsqualitäten führte. Die Wahrnehmung der Befriedigung einzelner Basic Needs ist nachweislich stark von den anderen beiden abhängig (vgl. Dupont et al., 2014). Am asL konnten Hinweise auf eine Verbindung von Autonomieförderung und Kompetenzförderung gefunden werden. Diese Befunde sprechen für eine Abhängigkeit der Basic Needs untereinander (vgl. Krapp & Ryan, 2002).<br />
Die Neuheit der Lernumgebung ist typisch für alle asL. Offene Lernumgebungen, wie z. B. „Free-choice“-Lernumgebungen (vgl. Falk, Dierking, & Adams, 2006) ermöglichen selbstbestimmtes Lernen, indem sie die Möglichkeit für freie Bewegung innerhalb der Lernumgebung und freie Auswahl der Lerngelegenheiten ermöglichen. Diese Lernumgebungen sind am asL häufig zu finden und sind am formalen Lernort Schule ebenfalls vorhanden (vgl. Bohl & Kucharz, 2010; Hartinger, 2005). Das Arbeiten in offenen Lernumgebungen ermöglicht erkundendes Verhalten, kann allerdings belastend auf SuS wirken (vgl. Tuovinen & Sweller, 1999) und zu Frustration und Verwirrung führen (Brown & Campione, 1994; Hardiman, Pollatsek, & Weil, 1986). Neuheit auch am formalen Lernort Schule potentiell in offenen Lernumgebungen, wie beim entdeckenden Lernen (Bruner, 1961, 1970) oder beim angeleiteten Entdecken (Moreno, 2004), sowie beim Anwenden neuer oder komplexer Lernmethoden, wie dem Experimentieren (vgl. Ledermann, 2009; Schauble, 1990), wahrgenommen werden. Demnach stellte sich die Frage, ob sich die Erkenntnisse aus den Studien am asL ebenfalls auf andere Lernorte anwenden ließen. Weitere Untersuchungen fanden diesbezüglich am formalen Lernort Schule statt. <br /><br />
Um die beiden Lernorte weiter vergleichen zu können wurde zunächst die Operationalisierung des autonomieförderlichen bzw. kontrollierenden Lehrerverhaltens am Lernort Schule geprüft (**Manuskript III**, N=95). Dabei wurde mit originalen Objekten im Biologieunterricht – Eurasischen Zwergmäusen (Micromys minutus) – gearbeitet. Es zeigte sich eine theoriekonforme Wirkung auf die intrinsische Motivation der SuS. Autonomieunterstützendes Lehrerverhalten führte zu einer höheren Ausprägung intrinsischer Motivation (**Manuskript III**). Das Lehrerverhalten konnte am formalen Lernort Schule erfolgreich umgesetzt werden. <br /><br />
Die Unterstützung des Basic Needs nach sozialer Eingebundenheit im Kontext Schule wurde ebenfalls in einer Unterrichtseinheit mit der Eurasischen Zwergmaus als Primärerfahrung untersucht. SuS arbeiteten dabei entweder mit Laptops, den Mäusen oder mussten sich neben dem Arbeiten mit den Mäusen im Unterricht zusätzlich, abseits des Unterrichts, um diese pflegend kümmern. Dabei wurde die soziale Eingebundenheit der SuS zur unterrichtenden Lehrkraft in Abhängigkeit der Arbeitsweise und des Geschlechts von Lehrkräften und SuS beleuchtet (**Manuskript V**, N=420). Es konnte gezeigt werden, dass ausschließlich ein zusätzliches gemeinsames Pflegen der Tiere im Vergleich zu den anderen Treatments zu einer ähnlichen wahrgenommenen sozialen Eingebundenheit zwischen SuS und Lehrkraft für die Geschlechtskombinationen Lehrerin-Schüler und Lehrer-Schülerin führte. Im Vergleich dazu waren gegengeschlechtliche Kombinationen gegenüber gleichgeschlechtlichen Kombinationen beim Arbeiten mit den Mäusen bzw. Laptops im Unterricht benachteiligt.<br /><br />
Das Basic Need nach Kompetenz wurde im Rahmen von **Manuskript VI** (N=183) am schulischen Lernort beleuchtet. Gerade unbekannte oder komplexe Methoden könnten, wie das Arbeiten am asL, ebenfalls Attribute von Neuheit besitzen. Die komplexe Arbeitsweise des Experimentierens kann hier als Beispiel genannt werden (vgl. Ledermann, 2009; Schauble, 1990). Beim Einführen der Arbeitsweise Experimentieren kann durch unterstützende Struktur die Neuheit und Komplexität potentiell ausgeglichen und die Kompetenz der SuS unterstützt werden. Struktur wurde dabei im Wesentlichen über Feedback operationalisiert. Es konnte gezeigt werden, dass gerade autonomieförderliches dargebotenes, informierendes tutorielles Feedback dazu in der Lage ist SuS bei komplexen Arbeitsweisen wie dem Experimentieren in ihrer Kompetenzwahrnehmung zu unterstützen und intrinsische Motivation zu fördern (**Manuskript VI**). <br /><br />
In einer weiteren Studie konnte die Kompetenzwahrnehmung der SuS vor der Intervention, in ihrem regulären Biologieunterricht, sowie ihre Autonomiewahrnehmung im Nachtest als Prädiktoren ihrer Kompetenzwahrnehmung in der Intervention, in der das Lehrerverhalten bewusst variiert wurde, bestätigt werden (**Manuskript VII**, N=136). Diese Befunde sprechen für eine Abhängigkeit der Basic Needs Kompetenz und Autonomie untereinander am formalen Lernort Schule (vgl. Krapp & Ryan, 2002).<br /><br />
Neben positiven Motivationsqualitäten ist der Wissenserwerb ebenfalls von zentraler Bedeutung für Unterricht am nicht-formalen und formalen Lernort. Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation geht davon aus, dass motivierte und selbstbestimmt handelnde Personen sich Wissen differenzierter und zusammenhängender aneignen (Deci & Ryan, 1993). In **Manuskript IV** konnte gezeigt werden, dass sich autonomiegeförderte SuS mehr konzeptuelles Wissen aneigneten als kontrollierend unterrichtete SuS. Beim Reproduktionswissen zeigten sich keine Unterschiede. Die SuS in **Manuskript VI** zeigten wider Erwarten keinen zweifelsfrei der Kompetenzförderung zuordenbaren Wissenszuwachs.<br />
In den Interventionsstudien (**Manuskripte III** bis **VI**) konnten effektive Maßnahmen zur Förderung der drei Basic Needs nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit am Lernort Schule aufgezeigt werden. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass Struktur sowohl am formalen Lernort Schule als auch am asL effektiv eingesetzt werden kann. Die durchgeführten Studien liefern Hinweise für eine praxistaugliche Umsetzung von Struktur an nicht-formalen und formalen Lernorten.