Aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht ist das erste Lebensjahr von besonderer Bedeutung. Dieser Lebensabschnitt hat maßgeblichen Einfluss auf die spätere gesundheitliche Entwicklung und die Ernährungsgewohnheiten. Vor allem gilt dieser Zeitraum als eine kritische Phase in der Übergewichtsentstehung. Die aktuelle Datenlage weist darauf hin, dass Kinder aus sozial schlechter gestellten Familien und Kinder mit türkischem Migrationshintergrund (MH) ein ungünstigeres Ernährungsverhalten (mengenmäßig großer Verzehr von zuckerhaltigen Erfrischungsgetränken, Weißbrot, frittierten Kartoffeln, Schokolade und Knabberartikeln) zeigen als Kinder aus besser gestellten Familien und Kinder ohne MH und damit unter anderem einem höheren Risiko für Übergewicht, Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und des Insulinstoffwechsels ausgesetzt sind. Die Ernährungseinstellungen der Eltern, und hier (immer noch) in erster Linie der Mütter haben einen Einfluss auf das kindliche Ernährungsverhalten. Jedoch ist über Einstellungen von Müttern mit und ohne türkischem MH zur Kinderernährung im ersten Lebensjahr noch wenig bekannt. Daraus ergibt sich die Frage, welche Einstellungen zur Kinderernährung im ersten Lebensjahr sich bei Müttern verschiedener sozialer Schichten mit und ohne türkischem MH in Deutschland identifizieren lassen.<br />
Es wurden 23 leitfadengestützte Interviews mit zehn Müttern ohne MH und 13 Interviews mit Müttern mit türkischem MH geführt, transkribiert und mit Hilfe des thematischen Kodierens ausgewertet. Dabei konnten drei Typen von Einstellungen herausgearbeitet werden. Unter-schiede in den Typen zeigen sich im Erleben und der Gestaltung des Ernährungsprozesses, den Strategien, dem Umgang mit dem Kind, den Vorstellungen zur subjektiv wahrgenommenen Norm und den subjektiven Annahmen im Informationsgeschehen. Jedoch zeigte sich kein Unterschied zwischen den Typen hinsichtlich des Migrationshintergrundes und des Sozialstatus. Es wird angenommen, dass im Zusammenhang mit den Einstellungen zur Kinderernährung eher persönliche Veranlagung und Ressourcen zum Tragen kommen.<br />
Die Ergebnisse dieser Arbeit konnten zur Weiterentwicklung des sozial-kognitiven Prozessmodells gesundheitlichen Handelns genutzt werden, wobei Vorstellungen zur subjektiv wahrgenommenen Norm, Strategien ebenso wie Kompetenzen des Food Literacy-Konzepts integiert wurden. Darüber hinaus konnten anhand der vorliegenden Ergebnisse Hinweise zur Optimierung ernährungsbezogener Präventionsmaßnahmen ausgesprochen werden. Es besteht Forschungsbedarf, um weitere unbekannte Einflussfaktoren auf Einstellungen von Müttern zur Kinderernährung zu identifizieren und Präventionsmaßnahmen weiterzuentwickeln, anzuwenden und zu evaluieren.