**Hintergrund:** Die Gesundheitsversorgung ist nicht adäquat auf die Versorgungsbedarfe, Prävention und Gesundheitsförderung chronisch Erkrankter und bei komplexen Krankheitsverläufen ausgerichtet. Mit telefonischem Gesundheitscoaching will die Heimat Krankenkasse ein Jahr lang Versorgungsmanagement und Gesundheitsverhalten ausgewählter chronisch erkrankter Versicherter fördern (Herz-Kreislauf-, psychische Erkrankungen oder beides/Komorbidität). <br /><br />
**Fragestellung:** Dazu werden folgende Fragen untersucht: Welchen Nutzen hat telefonisches Gesundheitscoaching bei chronisch Erkrankten für gesundheitsbezogene Lebensqualität, Leistungsinanspruchnahme und Ressourcennutzung? Welchen subjektiven Nutzen nehmen die Teilnehmenden für Krankheitsbewältigung und Orientierung im Versorgungssystem wahr?<br /><br />
**Methode:** Die Intervention wird mittels Methodenmix evaluiert. Mit quantitativen Methoden wird ihr Nutzen hinsichtlich gesundheitsbezogener Lebensqualität (SF-36 Health-Survey), Zufriedenheit und Ressourcennutzung (Routinedaten) betrachtet. Dazu werden die Outcomes zwischen Interventions- und Kontrollgruppe mit multivariaten Analysen verglichen (N = 619, t-Tests, Varianzanalysen, Chi-Quadrat-Tests, lineare, multiple Regression). Die subjektive Nutzenwahrnehmung wird mit leitfadengestützten Interviews erhoben und mittels zusammenfassender, strukturierender Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet (N = 8). <br /><br />
**Ergebnisse:** Die Interventionsgruppe (n = 312) bewertet ihre subjektive Gesundheit im Vergleich zum Vorjahr (Zeitraum vor der Intervention) signifikant besser als die Kontrollgruppe (n = 307). Die aktuelle subjektive Gesundheit unterscheidet sich nicht zwischen beiden Gruppen, emotional-psychische Aspekte bewertet die Interventionsgruppe schlechter. Die Mehrheit der Teilnehmenden (73,8%) ist mit der Intervention zufrieden und nimmt einen mittleren bis hohen subjektiven Interventionsnutzen wahr. Die Routinedaten spiegeln keine Trends oder Effekte der Intervention hinsichtlich Leistungsinanspruchnahme und Ressourcennutzung wider. Die Versicherten berichten von subjektivem Nutzen des Coachings für Krankheitsbewältigung und Kenntnisse im Versorgungssystem. Dies entspricht weitgehend ihren Bedürfnissen nach Unterstützung und Befähigung. Von einigen Befragten wird kein Nutzen des Programms wahrgenommen, dennoch bewerten alle das Angebot als wichtig. <br /><br />
**Diskussion:** Die Intervention scheint ein geeignetes Instrument zur Förderung von Gesundheitskompetenzen und gesundheitsförderlichem Verhalten für diese Zielgruppe zu sein. Die Erfolge liegen vor allem auf der subjektiven Ebene der Teilnehmenden (positive Gesundheitsentwicklung, hoher subjektiver Nutzen). Zur Ressourcennutzung können keine Effekte des Coachings nachgewiesen werden. Auf Grund des Studiendesigns und der Datengrundlage ist der Ausschluss von Confoundern nicht möglich. Trotz Limitationen des Studiendesigns ist es ein Vorteil, dass die Intervention in der Versorgungspraxis unter Alltagsbedingungen entwickelt, erprobt und evaluiert wurde. Der Methodenmix hat sich bewährt, um ein umfassendes Bild zur Intervention zu erhalten. Forschungsbedarf besteht zu Einflüssen auf die Wirksamkeit der Intervention, zu gewünschten Outcomes wie der Ressourcennutzung, zur theoretischen Einordnung und zu Evaluationsmodellen.<br /><br />
**Schlussfolgerungen:** Der Nutzen von telefonischem Gesundheitscoaching ist nicht eindeutig, aber eine vielversprechende Intervention zur Prävention und Gesundheitsförderung chronisch Erkrankter mit beeinflussbarem Krankheitsverlauf. Aus Public Health-Sicht ist dieser Fokus wichtig für diese Zielgruppe. Durch die Anwendung von Mixed Methods rückt neben klinischer Wirksamkeit und Effizienz die Nutzerperspektive als Bewertungskriterium in den Vordergrund. Aus Sicht der Krankenkasse kann es eine sinnvolle Maßnahme zum Versorgungsmanagement sein. Die Implementation kann Ansatzpunkt für eine gesundheitspolitische Debatte zu Strukturveränderungen sein. Sie kann einen Wandel der Rollen und des Selbstverständnisses von Krankenkassen sein, in denen Versicherte zu Akteuren werden, die ihre Gesundheitsversorgung aktiv gestalten.