In dieser Arbeit geht es um die morphosyntaktische und intonatorische Variation direkter Interrogativsätze im Französischen. Genauer gesagt wird der Sprachgebrauch hinsichtlich der Wahl von Inversion und Fragepartikel bzw. des satzfinalen Tonhöhenverlaufs untersucht. Die Wahl der Frageform soll dabei nicht nur beschrieben und empirisch erfasst werden, sondern es sollen auch Faktoren ermittelt werden, die diese Wahl systematisieren. Dazu wurden vier Studien durchgeführt. Die erste der Studien untersucht die Intuitionen und Überzeugungen von rund hundert Muttersprachlern des hexagonalen Französischs hinsichtlich konkreter Fragesätze und möglicher Kontexte. Mittels eines Fragebogens werden bereits aufgestellte Hypothesen bezüglich morphosyntaktischer Variation überprüft und weiterentwickelt. Will man die Ergebnisse auf einen einzigen Satz herunterbrechen, so kann man festhalten, dass Inversion tatsächlich als formeller angesehen wird und die Variation in W-Fragen zusätzlich stark vom Fragewort abhängt. In der zweiten Studie werden dann knapp drei tausend Interrogativsätze untersucht, die im französischen Reality TV geäußert wurden. Diese Studie hat ergeben, dass die – morphosyntaktische und intonatorische – Form einer Frage von einer Vielzahl von innersprachlichen (z.B. Fragewort, semantischer Typ und Subjekttyp) und außersprachlichen Faktoren wie pragmatische Bedeutung (z.B. reflektierende vs. informationssuchende Frage) und Redeart (z.B. Kommentar der Off-Stimme vs. Interaktion zwischen Kandidaten) beeinflusst wird. Die dritte Studie knüpft an diese Faktoren an und umfasst sowohl eine automatisierte Analyse der Morphosyntax aller auf ein Fragezeichen endenden Sätze aus zehn Kriminalromanen als auch die manuelle Analyse der Morphosyntax und Intonation einer Teilstichprobe. Diese Teilstichprobe umfasst alle Fragesätze mit OÙ (‘wo’) und dieselbe Anzahl vergleichbarer Entscheidungsfragen, welche in der Hörbuchversion der Kriminalromane vorkommen. Auch hier spielen linguistische Faktoren, Pragmatik und Redeart (d.h. hier Narration vs. direkte Rede) eine essentielle Rolle: Inversion ist in Ergänzungsfragen wahrscheinlicher als in Entscheidungsfragen, reflektierende Fragen sind signifikant häufiger morphosyntaktisch markiert als informationssuchende, und direkte Rede fördert Nicht-Inversion und einen finalen Anstieg der Tonhöhe. Eines der wichtigsten zusätzlichen Ergebnisse dieser Studie ist, dass Interrogativstrukturen zwar mit postverbalem Fragewort häufiger mit steigender Intonation gesprochen werden als solche mit präverbalem Fragewort, aber dass beide Typen sowohl mit einem Tonhöhenanstieg als auch mit einem Tonhöhenabfall existieren. In der vierten und letzten Studie wird eine pädagogische Norm etabliert und mit der aktuellen Unterrichtspraxis verglichen, indem die Interrogativsätze von zwei deutschen und zwei französischen Französisch-als-Fremdsprache-Lehrbüchern für Anfänger morphosyntaktisch und intonatorisch analysiert werden. In dieser Studie wird in erster Linie deutlich, dass die weite Verbreitung von Strukturen mit nicht-invertierter Wortstellung in authentisch iv gesprochener Sprache durchaus reflektiert wird, aber zumindest in den deutschen Lehrwerken scheint EST-CE QUE in W-Fragen übermäßig oft eingesetzt zu werden, was dem natürlichen Sprachgebrauch (d.h. dem Sprachgebrauch außerhalb des Unterrichtskontextes) entgegensteht. Außerdem ist festzuhalten, dass intonatorische Variation zwar mehr oder weniger authentisch repräsentiert wird, explizit unterrichtete Regeln aber eher weniger den tatsächlichen Sprachgebrauch widerspiegeln. Das letzte Kapitel trägt die Ergebnisse der vier Studien zusammen und zieht Schlüsse daraus. Letztendlich zeigt sich, dass die Variation in französischen Interrogativsätzen immerhin zu einem Teil regelmäßig – und somit vorhersagbar – ist. Was die morphosyntaktische Variation betrifft, gibt es gleich mehrere Regelmäßigkeiten in der Benutzung der Fragepartikel und von Subjekt-Verb-Inversion. Wenn der Fragestatus einer Frage z.B. betont werden soll (z.B. weil der Gesprächspartner keine Antwort auf die vorausgehende Äußerung gegeben hat) ist der Gebrauch von EST-CE QUE zu erwarten. Gleichermaßen erhöht das Fragewort QUE (‘was’) die Wahrscheinlichkeit des Gebrauchs von EST-CE QUE, da dieses Fragewort das einzige ist, welches nicht nur in Ausnahmefällen in periphrastischen Strukturen (d.h. Strukturen mit EST-CE QUE) verwendet wird. Im Gegensatz dazu hängt die Wortstellung hauptsächlich von der Redeart ab: Konzeptuell geschriebene Interrogativsätze (wie geskriptete Kommentare oder narrative Passagen in Romanen) scheinen die einzigen zu sein, welche in offensichtlichem Maße Inversion fördern. In (medial) gesprochener Sprache kommt Inversion hingegen fast ausschließlich in formellen oder ritualisierten Situationen (z.B. während der Hochzeitszeremonie) bzw. in quasi-lexikalisierten Strukturen (z.B. Comment allez-vous ?) vor. In der Tat ist es so, dass die generelle Häufigkeit eines Frageausdrucks eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt. Gewisse Strukturen (z.B. Comment ça va ?), welche in alltäglichen Interaktionen weit verbreitet sind, sind nahezu eingefroren und scheinen den Gebrauch anderer – theoretisch möglicher – Strukturen zu blockieren (z.B. ?Comment est-ce que ça va ? und ?Ça va comment ?). Die Wahl einer morphosyntaktischen Variante ist daher teilweise vorhersagbar durch deren intendierte Bedeutung, Redeart und Grad der Formalität, aber auch durch ihre generelle Häufigkeit bzw. ihren Grad an Lexikalisierung. Andererseits gibt es aber auch Belege dafür, dass zumindest in manchen Situationen Strukturen in freier Variation vorliegen. Einige morphosyntaktische Varianten (z.B. C’est quoi ? und Qu’est-ce que c’est ?) können demzufolge als (partiell) synonyme Strukturen angenommen werden. Was die intonatorische Variation betrifft, kann die Wahl des satzfinalen Tonhöhenverlaufs tendenziell durch die Art der Informationslücke (d.h. Wahrheitswert vs. fehlende Konstituente vs. Auswahl von Alternativen) und die Fragewort-Position (d.h. präverbal vs. postverbal) vorhergesagt werden. In noch höherem Maße scheint das Intonationsmuster jedoch von der Sprecherbedeutung (d.h. der pragmatischen Intention) und der Rolle der Äußerung in Bezug auf den gesamten Diskurs (d.h. v makrosyntaktische Funktion) bestimmt zu werden. Obwohl disjunktive und W-Fragen häufiger fallende Intonation aufweisen als Ja/Nein-Fragen und wh-in-situ-Fragesätze öfter steigende Intonation aufweisen als ihre wh-ex-situ-Äquivalente, scheint eine solche Systematisierung nicht auf kategorischen Restriktionen zu beruhen: Die Tonhöhe kann auch bei Fragewort-initialen Strukturen ansteigen und bei Fragewort-finalen Strukturen fallen. Gleichermaßen liefert die morphosyntaktische Markierung zweifelsfrei mehr Spielraum in Bezug auf die Wahl von intonatorischen Mustern, aber sie führt keineswegs automatisch zu einer fallenden Kontur. Wird eine Frage dagegen als eine Tatsache (d.h. ‘… – das ist hier die Frage.’) oder als das letzte Element einer Liste präsentiert, wird sie definitiv mit einem finalen Tonhöhenabfall artikuliert. Insgesamt wird gezeigt, dass die Formenwahl französischer direkter Interrogativsätze nur teilweise systematisiert werden kann. Variation in französischen Fragesätzen ist somit regulär – nicht im Sinne von ‘völlig systematisch’, sondern im Sinne von ‘sehr verbreitet’. Dies trifft sowohl auf Morphosyntax als auch auf Intonation zu.