Interdisziplinär angelegt nimmt diese Dissertation die Beratung bei Pflegebedürftigkeit in den Blick und stützt
sich dabei auf den theoretischen Wissensfundus der beiden Disziplinen soziale Arbeit und Pflegewissenschaft
sowie auf empirisch erhobene Daten aus der aktuellen Pflegeberatungspraxis.
Dass Pflegebedürftigkeit auf das Engste verflochten mit der gesellschaftlichen Geschlechterordnung ist, wird
als eine bedeutende Problemdimension aufgefaltet. Neben der Geschlechterdimension betrifft es noch zentral:
die Heterogenität des Alters, die Bildung sowie die Professionalisierung der Pflegeberatung, die Generativität
in Familie und Gesellschaft, den Pflegemarkt und die ethische Fundierung der Pflegeberatung. Alle sechs
Dimensionen verweisen schließlich auf die Notwendigkeit pädagogischer Arbeit im Sinne eines bildenden,
aufklärenden, wegweisenden und unterstützenden Instruments. Der Bedarf steht in deutlicher Spannung zum
geltenden Recht und zur Praxis der Pflegeberatung als traditionelle Sozialberatung.
In der Schrift werden Fragen zum Auftrag und zur Funktion von Beratung bei Pflegebedürftigkeit im weiter
fortschreitenden Strukturwandel des Alters und dem gesellschaftlichen Modernisierungsprozess bearbeitet.
Des Weiteren richtet sich der Fokus auf die sozialrechtlichen Grundlagen, die Beratungsqualifikationen, die
Beratungspraxis und ihrer Entwicklungsgeschichte ab dem 19 Jahrhundert, wie auch auf die
handlungsleitenden Orientierungen der gesetzlich beauftragten Berater\*innen. Entsprechend wurde sowohl
ein rekonstruktives und systematisches Vorgehen, als auch eine qualitativ explorative Forschungslogik
festgelegt.
Grundlage für das qualitative Vorgehen bildeten acht Interviews, in denen zehn Fallverläufe von
Pflegeberater\*innen erzählt werden. Als Forschungsmethoden wurden das Stegreifinterview sowie die
Narrationsanalyse nach Fritz Schütze ausgewählt und als besonders geeignet befunden. Fokus ist das
praktizierte professionelle Handeln, die Pflegeberatungspraxis.
Die Ergebnisse der Arbeit belegen und begründen die Relevanz für die Entwicklung eines innovativen
Sozialberatungstyps für die Beratung bei Pflegebedürftigkeit aufbauend auf den Wissenssystemen von
sozialer Arbeit und Pflege.
Für die Gestaltung von Beratungsbeziehungen, die in Care-Arrangements als besonders bedeutsam erkannt
wurden, werden Leerstellen in den vorhandenen Qualifizierungsmöglichkeiten aufgezeigt.
Auf Basis der rekonstruierten Einzelfallanalysen wurden Hilfe, Körperbezug und Zeit als zentrale, aber bisher
wenig ausgeleuchtete Merkmale in der Beratungspraxis näher bestimmt, in denen sich Spannungen,
Anpassungen, Distanzierungen, Konflikte, Brüche und Unterstützung zeigen lassen.
Die Interpretation der Pflegeberatungspraxis unter Rückbindung an eine Care-Ethik erweist sich als eine
Weiterentwicklung zu Schützes Paradoxien professionellen Handelns und der damit verbundenen
systematischen Fehlerproduktion. Diese Betrachtung erweiterte die Diskussion um die Bedeutung der
haltenden Sorgebeziehungen für das Funktionieren des Care-Arrangements. Darin enthalten findet sich eine
handlungsstarke Kritik am Versorgungssystem bei Pflegebedürftigkeit.
Es zeigt sich weiter, dass Pflegeberatung wesentlich mit unserer geschlechterspezifischen
Gesellschaftsformation zusammenhängt und die geschlechtsspezifische Praxis des Sorgens die gegenwärtige
gesellschaftliche Ordnung bei bestehender Pflegebedürftigkeit stabilisiert. Auch in diesem Kontext ist eine
Erweiterung des Handlungsrahmens hin zu Geschlechtergerechtigkeit und -demokratie dringend geboten.